Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
Vom Netzwerk:
nichts darauf ein; dass wir ohne unser Wissen aneinandergeschweißt worden waren, war allein Angelos Vermächtnis. Doch die Vorstellung, dass er meine Zeilen bei sich trug, sorgte für das, was Angelos Psychodrama niemals geglückt wäre – es glättete die Wogen in meiner Seele, die sich immer dann unruhig erhoben, wenn ich an Grischa dachte. »Und du hast erkannt, dass er von mir war?«
    »Nicht sofort.« Morpheus sah mich durchdringend an. »In einem seiner jüngsten Träume erblickte ich ein Mädchen, das deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Dich. Es war einer jener Träume, an die sich die Menschen nicht erinnern, weil sie nicht daraus aufwachen. Wann immer er von dir träumt, wird sein Schlaf tief und fest. Er weiß nicht, dass er von dir träumt, das konnte ich spüren, und noch weniger begreift er, warum du ihm auf zwölf langen Seiten von deinen Sehnsüchten und Gefühlen erzählt hast. Trotzdem gelingt es ihm nicht, den Brief zu vernichten. Das ließ mich misstrauisch werden und weckte in mir den Verdacht, dass Kräfte im Spiel waren, die über das Menschliche hinausgingen. Kräfte, die nur ein Mahr besitzt. Nun, was schon immer mein Verderben und mein größtes Gut war, ist die Neugierde. Ich habe geraubt, ihn weiterschlafen lassen und den Brief gelesen. Wie jedes ordentliche Mädchen hattest du deinen Absender auf das Kuvert geschrieben.«
    »Nicht weil ich ordentlich bin, sondern weil ich wollte, dass er mich aufsucht oder anruft«, gestand ich zerknirscht.
    »Du hattest Elisabeth Fürchtegott-Sturm geschrieben.«
    »Hm«, machte ich verlegen. Ja, das hatte ich, in der Hoffnung, ein Doppelname würde Eindruck schinden und ihn neugierig machen. Fürchtegott-Sturm klang schließlich Respekt einflößend und wichtig. Aber genau das war mein Glück gewesen – mein pubertärer Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Nur deshalb hatte Morpheus ahnen können, was geschehen war, und ich konnte mich endlich aus meinem Grischa-Fluch befreien.
    Ich atmete tief durch und richtete mich auf. Es war anders, als ich gedacht hatte, aber es war eine Erklärung. Und ich trug keine Schuld daran; in vielen anderen Dingen hatte ich Schuld auf mich geladen, doch in diesem Punkt nicht. Morpheus gab meine Hände frei.
    »Dann verrate mir noch eines. Wie um Himmels willen telefonierst du? Ich habe in dieser verfluchten Fischerhöhle noch keinen Festnetzanschluss gefunden.«
    Morpheus lachte hell auf, beinahe wie eine Frau, und schlug sich auf den Oberschenkel, eine so normale Geste, dass ich in sein Lachen einstimmen musste.
    »Das Telefonieren ist eine scheußliche Erfindung. Ich hasse sie. Dein Vater hat es mir beigebracht. Er ist ein geduldiger Mensch, aber ich fürchte, ich habe ihn dabei an seine Grenzen gebracht.«
    »Er war ein geduldiger Mensch«, korrigierte ich ihn. Mein Lachen war erstorben. Morpheus strich über meine Wange. Er fühlte sich dabei an wie Papa. Exakt so hatte Papa mich immer berührt, wenn ich traurig war.
    »Er ist. Wer fühlt, kann niemals vergehen. Er ist . Wann immer du glauben wirst, ohne ihn nicht leben zu können, nicht mehr zurechtzukommen, kehrst du in meine Höhle zurück und ich beweise es dir von Neuem.«
    »Okay«, murmelte ich erstickt. »Und das kannst du?«
    »Das kann ich. Er hat mich gebeten, von ihm zu rauben und es aufzubewahren. Für seine Kinder. Damit ich sie sie spüren lasse, sobald sie sie brauchen.«
    »Sie?«
    »Seine Liebe. Er hatte viel davon. Sehr viel.«
    Ich wehrte mich nicht, als er mich in seine Arme nahm. Ich bettete meinen Kopf an seine Schulter, sodass ich seine runden, weichen Brüste an meinen spürte. Es störte mich nicht, stimmte mich nicht einmal verlegen. Morpheus hatte keine Sexualität mehr. Wie hatte Colin mal gesagt? Mit den Jahrzehnten verliert die Sache erheblich an Reiz. Bei Morpheus waren es Jahrtausende.
    »Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte ich. »Was kann ich tun?«
    Ich hatte ein Trümmerfeld geschaffen und würde von meinen eigenen Waffen erschossen werden, sobald ich es betrat. Angelo würde meine Entscheidung nicht akzeptieren. Er durfte sie gar nicht erst erfahren.
    Morpheus schob mich ein Stückchen von sich weg, um das Band aus meinem Haar zu lösen und es erneut zu flechten, mit festen, sicheren Bewegungen. Dann drehte er mich zu sich um, bis ich ihn ansehen konnte.
    »Du darfst jetzt keine Pläne fassen, keine Pläne verfolgen und sie auf gar keinen Fall aufschreiben. Pläne sind gefährlich. Er kann deine Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher