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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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war. Das Einzige, was ich bisher angefasst hatte, waren meine Augen, meine Ohren und meine Wangen.
    »Nur nach und nach. Es erwartet sowieso niemand von dir. Fang bei Tillmann an. Immerhin kannst du mit ihm sprechen. Ich kann nicht mehr mit Papa sprechen und ich habe viel mehr gutzumachen als du.«
    Er log, um mich aufzumuntern, und ich korrigierte ihn nicht. Ich hatte noch keinem sagen können, was Angelo mit mir getan hatte, dass er meine ganze Jugend und all meine Tagträumereien besudelt und missbraucht hatte. Ich wusste nicht mehr, was aus mir selbst entsprungen und was von ihm genährt worden war. Ich traute mich nicht, Musik zu hören, aus Angst, dass die alten Bilder vor meinen Augen auftauchten, Bilder von Grischa, der hoffentlich wieder er selbst wurde, Bilder, die mich von nun an unweigerlich an Angelo erinnern würden. Bilder von Colin fürchtete ich jedoch ebenfalls. Ich durfte nicht von ihm träumen. Er war nicht mehr bei mir. Vielleicht war das das Bedrohlichste und Deprimierendste an der ganzen Situation: dass ich nichts mehr hatte, wovon ich träumen konnte.
    »Okay«, sagte ich heiser. »Ich gehe zu ihm, jetzt gleich, sobald du draußen bist und ihr esst.« Damit ich keinem von euch begegnen kann.
    Ich wartete noch ein paar Minuten ab, nachdem Paul sich auf die Terrasse gesetzt hatte, mit den Händen auf meinen Ohren, dann stand ich schwerfällig auf und stakste auf unsicheren Beinen die Treppe hinauf.

D ER G ANG NACH C ANOSSA
    Ich zwang mich wenigstens zu einem kurzen Blick auf meinen Oberkörper und meine Beine – unscharf, als wäre ich stark kurzsichtig –, um zu überprüfen, ob ich einigermaßen vorzeigbar war (ich war es, ich trug einen kurzen, schlichten Schlafanzug mit Streifen, der nicht mir gehörte), bevor ich zögerlich an die Tür des Dachzimmers klopfte. Von drinnen kein Laut. Ich klopfte etwas lauter, bereit, umzudrehen und kehrtzumachen, falls Protest ertönte. Doch ich hörte weder Protest noch eine Aufforderung einzutreten.
    Obwohl ich mich vor dem drücken wollte, was ich jetzt erblicken würde, öffnete ich die Tür und schob mich umständlich ins Zimmer. Ich ließ meine Augen zunächst nur oberflächlich hin und her fliegen und dieses schnelle Scannen genügte, um festzustellen, dass jemand gründlich aufgeräumt hatte. Tillmanns Kleider waren wieder im Schrank verstaut, der Boden geschrubbt und vom Unrat befreit worden, die Bettwäsche gereinigt. Die Balkontür stand offen; eine leichte Brise streifte um meine nackten Knöchel, nicht mehr ganz so warm und schmeichelnd wie in den Wochen mit Angelo.
    Tillmann saß aufrecht auf seinem Bett, einen Teller Pasta zwischen den Beinen und seinen einst so feurigen Blick erwartungsvoll auf mich gerichtet, während er mit sichtlichem Appetit aß. Ich stellte meine Augen etwas schärfer.
    Auch er hatte seine Schmuddeligkeit abgelegt. Seine Haare waren immer noch wirr, aber offensichtlich gewaschen, er roch genauso gut wie früher, und obwohl er immer noch zu blass und zu schmal im Gesicht war, wirkte er wie jemand, der gerade ins Leben zurückkehrte und nicht mit aller Macht daraus entschwinden wollte. Er musterte mich ebenfalls und es machte mich so verlegen, dass ich zur Seite schaute.
    »Wow«, stellte er schließlich mit vollem Mund fest. »Du siehst so richtig scheiße aus.«
    Normalerweise hätte ich ihm sein Kissen um die Ohren geschlagen oder ihm einen verbalen Dämpfer verpasst. Aber seine flapsige Bemerkung traf mich zutiefst. Der Druck hinter meinen Augen verriet mir, dass ich den Tränen kaum ausweichen konnte, wenn ich das Ruder nicht sofort herumriss. Wahrscheinlich übertrieb er nicht einmal, sondern sagte die Wahrheit. Das war doch sein Lieblingsspiel: die Wahrheit sagen, schonungslos und unverblümt.
    »Das war nicht gerade das, was ich hören wollte«, murmelte ich und drehte mich wieder um, um abzuhauen.
    »He, Ellie, mach langsam, ich hab nur versucht, die Situation mit einer lockeren Bemerkung ein wenig zu entspannen, mehr nicht. Keine Panik!«
    »Seit wann legst du Wert darauf, Situationen zu entspannen?«, konterte ich in unserer guten alten Streitgesprächmanier, dankbar, dass er bereit war, den Druck herauszunehmen. Das war immerhin etwas Neues.
    »Na ja, man lernt mit der Zeit dazu. Du solltest trotzdem weniger heulen, deinen Augen zuliebe.«
    Seufzend wandte ich mich ihm wieder zu und schob das zweite Bett in seine Richtung, damit ich mich ihm gegenübersetzen konnte, während er seinen Teller

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