Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
Vom Netzwerk:
mit der Frage gequält, warum Tillmann drogenabhängig geworden war, so schnell und heftig, und kam immer nur zu einer Antwort: Ich war verantwortlich dafür. Zum einen, weil ich ihm zu viel hatte durchgehen lassen, und zum anderen – das war der Hauptgrund –, weil ich ihn vernachlässigt hatte, ja, sogar vergessen hatte ich ihn. Tillmann war der Erste gewesen, den ich vergessen hatte, ausgerechnet er, der immer an meiner Seite geblieben war, egal, wie unausstehlich ich mich benommen hatte. Er hätte vor dem Kampf gegen François sogar mit mir geschlafen, um mich abzulenken. »Warum liegt er denn?«
    »Weil er krank ist. Geh zu ihm. Immerhin hat er uns zum richtigen Zeitpunkt zu dir gelotst.«
    »Er war das?« Kopfschüttelnd barg ich mein Gesicht in den Händen. Schon wieder stieg das Schluchzen in mir auf. Für mich war es weniger ein Wunder gewesen, dass ich überlebt hatte, sondern vielmehr eines, dass sie alle gekommen waren. Sie hatten sich hinter mich gestellt, obwohl ich sie verhöhnt und mich über sie lustig gemacht hatte. Ich hatte angenommen, dass Morpheus dahintersteckte, doch nun wusste ich, dass es mein bester Freund gewesen war, ein Mensch.
    Aber natürlich … Ich will jene bei mir haben, die ich liebe, hatte ich zu ihm gesagt, ohne zu wissen, warum diese Worte aus meinem Mund schlüpften, denn gedacht oder geplant hatte ich nichts mehr. Meine Intuition musste sie mir vorgegeben haben – und hatte nicht Morpheus mir geraten, auf die Menschen zu vertrauen, die ich liebte? Diese Bitte hatte Angelo nicht auf die Spur locken können, da ich sie im Kontext der Verwandlung geäußert hatte. Meine Gefühle waren mein Köder für Angelo gewesen und gleichzeitig hatten sie mich vor dem Schlimmsten bewahrt. Bis zur letzten Sekunde hatte Angelo keinen Zweifel gehegt, dass ich mich für ihn entscheiden würde – wie auch, wenn ich selbst keine gehabt hatte? Als ich Tillmann angefleht hatte, mich zu begleiten, hatte ich nur auf meinen Bauch gehört und auf nichts anderes und meine Bindung zu ihm war stark genug gewesen, um ihn dabeihaben zu wollen. Ich wunderte mich im Nachhinein über meine eigenen Worte. Mein Gehirn war meinen Emotionen kompromisslos gefolgt.
    Tillmann hatte meinen Wunsch erfüllt. Er hatte nicht angenommen, dass ich ihn allein meinte, als ich sagte, dass ich die dabeihaben wolle, die ich liebe. Sondern sie alle. Und warum? Weil er mir zugehört hatte, während meine Ohren längst taub geworden waren.
    Gestatte dir deine Gefühle … Gestatte dir deine Gefühle, hatte Morpheus mir geraten. Er kann deine Gedanken lesen. Oh, ich hatte mir meine Gefühle gestattet, ich hatte mich ohne Sinn und Verstand hineinfallen lassen. Aber womöglich hatte diese Fähigkeit uns alle gerettet, auch wenn ich sie nach wie vor an mir verabscheute und mich dafür bestrafen wollte, dass ich erneut zu Angelo gegangen war und um seine Nähe gewinselt hatte, unterwürfig und willig. Doch es hatte mich geschützt. Er hatte keinen anderen Plan in mir erkennen können als den, der seinem eigenen entsprach, weil meine Sehnsucht und Wehmut alles Übrige erstickten.
    »Gib dir einen Ruck, Ellie. Sprecht euch aus. Er kann es gebrauchen.« Paul klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Die Rippenfraktur war nicht dramatisch, lediglich unangenehm, doch ich hatte niemandem erzählt, wie ich sie mir zugezogen hatte. Das wusste nur ich selbst.
    »Paul, kommst du zum Essen?«, rief Gianna von draußen. »Ich hab Tillmann einen Teller hochgebracht. Will Ellie auch etwas?«
    »Nein«, entschied ich rasch. »Ich will nichts!« Ich senkte meine Stimme wieder, damit nur Paul mich hören konnte. »Wenn ich jetzt nicht zu ihm gehe, mache ich es nie.«
    »In Ordnung. Ellie, eines will ich dir noch sagen. Mama hält sich wacker. Papa war nicht nur bei uns. Er war auch bei ihr. Und Morpheus … er – oder sie?« Er schmunzelte. Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ich glaube, das kannst du entscheiden. Er ist für beides offen.«
    »Na, egal. Sie, er, ist doch wurscht. Morpheus hat ihr jedenfalls auch etwas … hm. Gegeben. Keinen Brief, meine ich. Sondern etwas von Papa. Es tröstet sie. Du darfst dich nicht zu sehr grämen. Bitte, versprich mir das.«
    »Ich weiß aber nicht, wie ich das alles wiedergutmachen soll …« Meine Hände blieben in der Luft stehen, weil ich es nicht wagte, mir durch die Haare zu fahren, wie ich es hatte tun wollen. Ich berührte mich nur, wenn es nicht zu umgehen

Weitere Kostenlose Bücher