Dornenkuss - Roman
war plötzlich so wütend, dass meine Worte wie Pistolenschüsse durch die Luft donnerten. »Dass er nachhaltig jagt und niemandem dabei schadet und … dass du … dass du nicht zu dir stehst, weil du dich den Träumen von Menschen verweigerst und deshalb unkontrollierbar wirst! Dieser elende Lügner!«
»Mit Letzerem liegt er gar nicht verkehrt. Es ist schwierig, sich von Tierträumen zu ernähren. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich es immer nur tue, wenn sie wach sind …« Nein, das war mir nicht aufgefallen. Aber es stimmte. Als ich dabei gewesen war, waren sie wach geblieben. »Ich möchte ihnen Gelegenheit geben, sich zu wehren. Keine gute Grundlage, um den eigenen Hunger zu stillen. Dass Angelo dir Märchen erzählt, was seine eigenen Raubzüge betrifft, war mir jedoch klar.«
»Warum hast du ihn dann nicht einfach getötet?«
Colin lachte verwundert auf. »Weil ich es nicht kann! Er ist älter als ich!«
»Aber er … er hat gesagt, du wärst viel stärker als er und dadurch, dass du ein Cambion bist, könntest du ihn in der Luft zerfetzen, wenn du wolltest.«
»Ja, eine weitere hübsche Schwindelei, um dich auf seine Seite zu ziehen. Der arme, hilflose Angelo und der böse Colin. Ich könnte es nicht, dazu ist meine Nahrung zu minderwertig, und selbst wenn, hätte es dich erst recht von mir weggetrieben. Das Böse, das in mir wütet, sobald ich hungrig bin, kann nur Menschen schaden, aber nicht Mahren. Ich kann froh sein, dass Angelo mich nicht getötet hat, denn dann hätte ich gar nichts mehr für dich tun können. Wenn du dich ihm nicht in deiner ganzen nackten Pracht gezeigt und ihn damit von mir abgelenkt hättest, hätte er es wahrscheinlich oben in der Sila getan, vor euer aller Augen.«
Ich stand ruckartig auf und lief ein paar Schritte von Colin weg, um mich zu beruhigen. In dieser Verfassung konnte ich nicht weiter mit ihm reden, ohne zu heulen oder um mich zu schlagen vor Demütigung. Lügen. Lügen über Lügen. Was hatte überhaupt gestimmt von dem, was Angelo mir aufgebunden hatte? War denn irgendetwas davon wahr gewesen? Aber ich spürte auch, wie das, was Colin gesagt hatte, ein Stück der Last von meinen Schultern nahm. Ich hatte mich nicht nach Angelo gesehnt, sondern nach dem, was er anderen genommen hatte … Gerade erst heute Morgen, als Gianna und ich am Obstwagen standen, hatte die Sehnsucht mich erneut ohne Vorwarnung überwältigt. Auslöser war der Sohn des Händlers, der mit einem frechen Grinsen mit Gianna flirtete und damit prahlte, wie geschickt er Orangen jonglieren konnte. Obwohl er dicklich und klein war und kindliche Pausbacken hatte, in denen seine Augen fast verschwanden, hatte er mich sofort an Angelo erinnert und ich wäre am liebsten fortgerannt. Gut möglich, dass Angelo auch ihn einst beraubt hatte. Angelo war ein Sammelbecken jugendlicher Gefühle, er bündelte all das in sich, was für mich in so weite Ferne gerückt war. Ohne Eile stapfte ich durch den Sand zu Colin zurück. Auf einmal hatte ich keine Angst mehr, er könne mir davonlaufen. Louis hatte sich erhoben, von ihm abgewandt und rupfte verdrossen an den vertrockneten Büschen herum.
»Angelo hat nicht nur die Jugend anderer geraubt, Colin«, sagte ich mit fester Stimme. »Er hat vor allem meine Jugend geraubt. Ich bin heute neunzehn geworden, da draußen wartet der Ernst des Lebens auf mich und ich habe meinen letzten freien Sommer verschwendet. Er ist an mir vorübergezogen … Ich werde nie wieder jung sein, nie so sein können, wie ich es eigentlich hätte werden sollen. Ich möchte zurück und alles besser machen, es leichter nehmen. Ich selbst sein, ohne mich zu verstellen, wie ich es früher immer getan habe.«
»Und ich möchte die Zwanzig hinter mir lassen. Das ist der Unterschied zwischen uns und er wird immer bleiben. Ich möchte graue Haare bekommen und Falten und meine Knochen knacken hören. Ich möchte dich anfassen können, wenn ich mit dir schlafe. Meinetwegen auch mal keinen hochkriegen. Ich möchte alt werden. Ruhen können. Und sterben.«
»Du willst es also immer noch.« Der bittere Zug um meinen Mund, den ich bei seinen endgültigen Worten wieder spürte, würde mich von nun an begleiten. Dieser Sommer hatte mich gezeichnet.
»Ja. Aber ich werde dich nicht mehr darum bitten. Das verspreche ich dir.« Colin nahm meine rechte Hand und küsste ihre Innenfläche, eine zärtliche, aber auch höflich-distanzierte Besiegelung, doch ich fühlte keinerlei
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