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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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mich nüchterner denn je fühlte, abgesehen von unserer allgemeinen Dünnhäutigkeit. Ich war wie die anderen drei in hohem Maße gestresst und ausgelaugt, doch mein Schlafwandeln und die seltsame Vision von dem verlassenen Haus kamen mir vor wie Träume aus längst vergangener Zeit. An diesem heutigen Tag gab es nicht ein einziges Quäntchen Magie und ich empfand es als taktlos, dass Paul Tessa überhaupt zur Sprache brachte. Konnten wir nicht erst einmal ankommen, bevor wir darüber nachdachten, warum wir eigentlich hier waren?
    Abwartend blieben Tillmann und ich in der prallen Sonne stehen und sahen Gianna nach, die zu Paul aufgeschlossen hatte und auf ihn einredete.
    »Er hinkt«, sagte ich besorgt. »Auf der rechten Seite. Sein Knie scheint zu schmerzen.«
    »Kommt bestimmt vom Sex«, meinte Tillmann. »Die Missionarsstellung schlägt auf die Gelenke.«
    »Du bist ziemlich sexfixiert in letzter Zeit, weißt du das?«
    »Was heißt denn sexfixiert? Die beiden sind noch nicht lange zusammen und poppen, bis der Arzt kommt. Ist doch klar, dass das irgendwann auf die Knochen geht.«
    Ich ließ Tillmann seine Meinung, denn Gianna kehrte gerade zu uns zurück, während Paul Steinchen durch die Gegend kickte.
    »Gebt ihm noch fünf Minuten«, vermittelte Gianna zwischen meinem Bruder und uns. »Ihm geht’s nicht so gut.«
    »Verdammt«, flüsterte ich und wie gestern schon plagte mich das schlechte Gewissen. Ich mutete meinem Bruder zu viel zu. Er war gerade erst seinem Mahr entronnen, hatte eine Herzblockade, litt unter Verschleiß in Knien und Rücken und kämpfte fast unentwegt mit verschleimten Bronchien. Eine Kur an der Nordsee wäre der geeignetere Urlaub für ihn gewesen. »Wir hätten ihn nicht mitnehmen dürfen«, sprach ich aus, was ich dachte.
    Gianna schüttelte entschlossen den Kopf. »Er hätte dich niemals alleine ziehen lassen. Er fühlt sich verantwortlich für dich – und deinem Vater gegenüber. Außerdem will er eine Gegenleistung erbringen für das, was du ihm zuliebe auf dich genommen hast.« Sie verzog ihren Mund zu einem verständnisvollen Grinsen. »Hier geht es auch ein bisschen um männliche Ehre. Glaub mir, er sieht es als seine persönliche Pflicht, dir bei der Suche nach eurem Vater zu helfen, wo er ihn doch so lange Jahre der Lüge bezichtigt hat.«
    Mit einem unguten Gefühl im Bauch beobachtete ich, wie Paul hinkend auf und ab lief, Steine kickte und schließlich zu uns zurückkam. »Weiter geht’s«, forderte er uns kurz angebunden auf, wieder in den Wagen zu steigen.
    Auf den letzten 200 Kilometern, die sich endlos dahinzogen, weil wir sie größtenteils auf einer Serpentinenlandstraße direkt am Meer zurücklegten, erschien mir die Kluft zwischen dem, was wir in diesem Land beabsichtigten, und unserem allgemeinen Grundgefühl immer unüberbrückbarer. Ich war tatsächlich nur noch eine Urlauberin, die endlich ankommen und sich erfrischen wollte. Vielleicht brachte mich das Haus in den Bergen ja wieder auf den richtigen Pfad und machte mir unser Vorhaben bewusst. Ich malte mir ein Anwesen wie die urigen Fincas aus, die Mama auf Ibiza fotografiert hatte, renovierte bäuerliche Häuser mit weitläufigen Gärten und uralten Bäumen, von denen aus man die gesamte Landschaft überblicken konnte – samt einer 1,50   Meter großen Mahrin, die sich mit Trippelschritten näherte, um Colins Glück zu zerstören. Das Haus musste eine Festung sein, wie Verucchio, nur kleiner, mit dicken Mauern, hinter denen wir uns verbergen konnten.
    Erst das Bremsen des Wagens riss mich aus meinen Träumereien. Meine rechte Pobacke war eingeschlafen, die Unterseiten meiner Oberschenkel hafteten am Sitzbezug und meine Füße fühlten sich geschwollen an. Ich hob meine Haare, damit der Wind meinen Nacken kühlen konnte, doch trotz der weit geöffneten Fenster gab es keinen Luftzug. Das Erste, was ich von unserer neuen Umgebung wahrnahm, war das Brüllen der Zikaden. Kein vorsichtiges, dezentes Zirpen, sondern so laut und aggressiv, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. Ich streckte meinen Kopf aus dem Fenster und sah mich um. Paul stieg bereits aus.
    »Wo sind wir hier?«, rief ich skeptisch. Das Meer lag zu unserer Rechten, halb verborgen hinter einer Häuserreihe, aber so nah, dass wir die seichte Brandung hören konnten. Links von uns erstreckte sich ebenfalls eine Häuserreihe. Eine staubige, unbefestigte Straße mit Häusern rechts und links. Gut, und weiter?
    »Wir sind da, Ellie«, sagte Gianna.

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