Dornenschwestern (German Edition)
uns gerade Hühnerfrikassee. Als er weitergegangen ist, flüstere ich: «Geköpft? William Hastings? Ohne Prozess? Einfach so?»
Seine Mutter blitzt mich an. «Einfach so!», wiederholt sie. «Warum nicht? Meinst du, die Königin hat einen gerechten Prozess für meinen Sohn gefordert? Meinst du, George hat einen gerechten Prozess bekommen, als sie seinen Tod verlangte?»
«Nein», antworte ich, sie hat recht.
«Also, wie auch immer, es ist vollbracht», sagt Richard und bricht einen Laib Weißbrot. «Ich konnte den Prinzen nicht auf den Thron setzen, solange Hastings mit der Königin unter einer Decke steckt. Sobald er zum König gekrönt worden und frei gewesen wäre, seine Berater zu wählen, hätten sie ihn mir entrissen und ihm mein Todesurteil unter die Nase gehalten. Und er hätte es unterzeichnet. Im Gespräch mit ihm ist mir klargeworden, dass er durch und durch ein Rivers-Sohn ist und nach ihrer Pfeife tanzt. Ihre Verwandten Anthony Woodville, Richard Grey und Thomas Vaughan werde ich ebenfalls hinrichten lassen müssen. Ich bin erst sicher, wenn sie tot sind.» Er blickt in mein bestürztes Gesicht. «Das ist der einzige Weg, ihn zu krönen», fährt er fort. «Ich muss die Verwandtschaft seiner Mutter zerschlagen. Ich muss den Prinzen zum König mit nur einem Berater machen – mir. Wenn sie tot sind, dann bleibt nur sie, und die Verschwörung ist zerschlagen.»
«Du musst durch das Blut unschuldiger Männer waten», sage ich leise.
Er begegnet meinem Blick, ohne zu wanken. «Ja, damit er den Thron besteigen kann und ein guter König wird und nicht ihr Werkzeug.»
Im Kirchenasyl setzt die Königin ihre Hexensprüche und Beschwörungen gegen uns ein. Ich spüre beinahe, wie ihre Bösartigkeit einem Nebel gleich vom Fluss gegen die verriegelten Fenster der hinteren Gemächer von Baynard’s Castle drückt. Von meinen Hofdamen höre ich, dass die Königin ihren zweiten Sohn in die Obhut ihres Freunds und Verwandten Kardinal Bourchier gegeben hat. Der Kardinal hat ihr geschworen, der Junge sei sicher, und Richard zu seinem Bruder Edward in die königlichen Gemächer im Tower gebracht, wo sie sich auf die Krönung vorbereiten.
Ich kann nicht glauben, dass diese Krönung tatsächlich stattfindet. Selbst wenn wir den Jungen nach Middleham Castle bringen und ihn behandeln wie unsere eigenen Kinder, ist der Prinz kein gewöhnliches Mündel. Er ist ein Junge von zwölf Jahren, der dazu erzogen wurde, einst König zu sein. Er betet seine Mutter an und würde sie niemals hintergehen. Er wurde von seinem Onkel Anthony Woodville ausgebildet und beraten. Niemals wird er seine Liebe und seine Treue uns schenken. Wir sind Fremde für ihn, womöglich haben sie ihm sogar gesagt, wir seien Feinde. Von Kindesbeinen an haben sie ihn in ihren Bann gezogen, er ist durch und durch ein Kind ihrer Schöpfung. Sie hat ihn uns, seiner wahren Familie, entfremdet, genau wie ihren Gemahl seinen Brüdern. So freundlich wir ihn auch behandeln – Richard krönt einen Jungen, der, wenn er erwachsen ist, zu seinem Todfeind wird. Richard macht Elizabeth Woodville zur Mutter des Königs von England. Sie wird den Titel meines Vaters übernehmen und «Königsmacherin» sein. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass sie tun wird, was auch mein Vater getan hätte: den rechten Augenblick abwarten und nach und nach alle Rivalen ausmerzen.
«Was soll ich denn sonst machen», will Richard wissen, «als den Jungen zu krönen, der in dem Glauben aufgezogen wurde, ich sei sein Feind? Er ist mein Neffe.»
Seine Mutter am Kamin hebt den Kopf. Ich spüre den Blick ihrer dunkelblauen Augen. Diese Frau kennt keine Angst. Sie nickt, wie um mir die Erlaubnis zu geben, das Offensichtliche auszusprechen.
«Dann setzt du dich wohl besser selbst auf den Thron», sage ich ohne Umschweife.
Richard sieht mich an. Lächelnd legt seine Mutter ihre Näharbeit zur Seite. Seit Tagen hat sie keinen anständigen Stich getan.
«Denk an deinen Bruder», sage ich. «Er hat Henry den Thron in der Schlacht nicht nur einmal, sondern zweimal entrissen, und Henrys Thronanspruch war weit gewichtiger als der des Rivers-Jungen. Der Junge ist nicht einmal gekrönt, nicht einmal gesalbt. Er ist nur ein Thronanwärter, genau wie du. Er mag der Sohn des Königs sein, doch er ist ein Junge. Womöglich ist er nicht einmal sein legitimer Sohn, sondern ein Bastard, einer von vielen. Du bist der Bruder des Königs und bereit zu regieren. Nimm dir den Thron. Es ist das Beste für
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