Dornenschwestern (German Edition)
sein Leben verlor in der Schlacht, die mich auf den Thron von England bringen sollte. An Elizabeth Woodville, die Mörderin meiner Schwester, die so viel Unheil über mich gebracht hat.
«Meiner Meinung nach hast du einen größeren Anspruch auf den Thron als ihr Sohn», antworte ich schließlich. Und ich einen größeren als sie, fahre ich in Gedanken fort. Schlussendlich werde ich das Ziel erreichen, das für mich vorgesehen war: Ich werde Königin Anne von England sein.
Immer noch zögert er. «Es ist ein großer Schritt, den Thron zu reklamieren.»
Ich gehe zu ihm und nehme seine Hand. Es ist, als würden wir unser Treuegelöbnis wiederholen. Ich lächele, meine Wangen sind warm. In diesem Augenblick der Entscheidung bin ich in der Tat ganz die Tochter meines Vaters.
«Dies ist deine Bestimmung», erkläre ich mit großer Überzeugung. «Durch Geburt, durch Veranlagung und durch Ausbildung bist du der König, den England in diesen Zeiten braucht. Gib dir einen Ruck, Richard. Es ist mein Geburtsrecht, wie auch das deine. Ergreifen wir die Chance. Ergreifen wir sie zusammen.»
Tower of London
Juli 1483
W ieder einmal bin ich in den königlichen Gemächern im Tower und betrachte durch die Schießscharten den Mond, der einen silbernen Streifen auf den dunklen Fluss wirft. Wieder einmal bin ich mir der Stille der Nacht bewusst, und von fern höre ich Musik.
Es ist der Abend vor unserer Krönung, und ich habe mich von den Feierlichkeiten zurückgezogen, um zu beten und über das rasch dahinfließende Wasser zu blicken, den Fluss, der dem Meer zueilt. Ich werde Königin von England sein. Wieder einmal flüstere ich mir das Versprechen zu, das mein Vater mir als Erster gemacht hat. Ich werde Königin Anne von England sein, und morgen werde ich gekrönt.
Ich weiß, dass sie an dem kleinen Fenster sitzt und in die Dunkelheit blickt, das schöne Gesicht vor Kummer verzerrt, während sie für ihre Söhne betet, wohl wissend, dass sie in unserer Obhut sind und dass keiner von ihnen je König wird. Sie verflucht uns, während sie einen blutigen Lumpen in den Händen dreht, Wachsfiguren formt, Kräuter zerstößt und im Feuer verbrennt. Ihre ganze Aufmerksamkeit wird auf den Tower gerichtet sein, genau wie der Mond, der heute Abend einen silbrigen Pfad zu ihrem Schlafgemach aufs Wasser zeichnet.
Das Schlafgemach ihrer Jungen. Denn beide Jungen sind im Tower, ein Stockwerk über mir. Wenn ich eine Umdrehung der Steinwendeltreppe hinaufginge und der Wache sagte, sie solle zur Seite treten, könnte ich in ihre Gemächer gehen und ihnen beim Schlafen zusehen. Sie schlafen in einem Bett. Der Mond fällt auf ihre blassen Gesichter, die Wimpern zeichnen sich dunkel auf ihren Wangen ab, während ihr kleiner warmer Brustkorb, bedeckt von weißem, spitzenbesetztem Leinen, sich friedlich in ihrem kindlichen Schlaf hebt und senkt. Der Prinz ist erst zwölf Jahre alt, auf der Oberlippe hat er einen weichen Flaum, die schlaksigen Beine hat er quer übers Bett ausgestreckt. Sein Bruder Richard wird nächsten Monat zehn; er ist im selben Jahr geboren wie mein Sohn Edward. Wie kann ich je ihren Sohn ansehen, ohne an den meinen zu denken? Er ist ein fröhlicher kleiner Bursche, selbst im Schlaf lächelt er über einen amüsanten Traum. Die Jungen werden unsere Mündel sein, bis sie zu Männern herangewachsen sind. Wir werden sie nach Middleham Castle oder Sheriff Hutton im Norden bringen, wo wir den Dienern vertrauen können, sie im Auge zu behalten. Sie werden von bezaubernden Jungen zu Gefangenen heranwachsen. Niemals können wir sie gehen lassen.
Sie stellen immer eine Gefahr für uns dar. Jeder, der unsere Herrschaft in Frage stellt, wird sich mit seinem Unmut an sie wenden. Elizabeth Woodville wird den Rest ihres Lebens damit verbringen, sie uns zu entreißen und auf den Thron zu bringen. Wir beherbergen unsere ärgste Bedrohung. Der Vater der Jungen, König Edward, hätte so eine Gefahr niemals geduldet. Und mein Vater ebenso wenig. Einmal hat mein Vater König Edward gefangen genommen, und nachdem Edward entflohen war und den Thron zurückerobert hatte, sagte mein Vater, dass er das nächste Mal keine andere Wahl hätte, als ihn festzusetzen und zu töten. Edward hat seine Lektion von meinem Vater gelernt. Den alten König Henry hat er nur so lange in Gewahrsam genommen, bis es einen Lancaster-Erben gab. Der Tod meines ersten Gemahls, Prinz Edward, bedeutete auch für seinen Vater das Todesurteil. Als König Edward eine
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