Dornenschwestern (German Edition)

Möglichkeit sah, dem Hause Lancaster ein Ende zu bereiten, hat er in jener Nacht König Henry getötet, und seine Brüder George und Richard haben ihm bei der Ermordung des Königs geholfen. Wenn er weitergelebt hätte, hätte stets die Gefahr der Rebellion bestanden. Tot konnte er betrauert werden, doch er war keine Bedrohung mehr. Solange der Woodville-Junge lebt, stellt er eine Gefahr für uns dar. Ehrlich, keiner sollte so ein Leben führen müssen. Nur aufgrund meiner zärtlichen Schwäche und Richards Liebe zu seinem Bruder bleiben sie verschont. Weder mein Vater noch Richards Bruder wären solch weichherzige Narren gewesen.
    Obwohl die Nacht warm ist, ziehe ich den Fellumhang ein wenig enger um mich. Eine kühle Brise weht vom Fluss durch das offene Fenster herein. Isabel würde lachen, wenn sie mich jetzt sähe, in Elizabeth Woodvilles Pelzen – in dem kostbaren Grauwerk, das Isabel einst in ihrer Kleidertruhe verwahrte und dann zurückgeben musste. Isabel würde lachen über unseren Triumph. Am Ende tragen wir den Sieg davon, und morgen wird das kleine Mädchen, das ich damals war – und das an dem Abend von Elizabeth Woodvilles Krönung in ebendiesem Turm hier spielte, es wäre Königin –, die Krone tragen.
    Die Zweifel, die meine Mutter mir eingeflüstert hat, spielen keine Rolle mehr. Ob meine Ehe nun rechtsgültig ist oder nicht, ein Erzbischof wird mich mit heiligem Öl salben und mich krönen. Ich werde Königin von England sein und in Frieden leben. Richard hat mich vor Gottes Angesicht zur Frau genommen; jetzt macht er mich vor aller Welt zu seiner Königin. Ich muss mich nicht mehr fragen, ob er mich liebt. Er hat mir unter vier Augen seinen Ring gegeben und in der Öffentlichkeit die Krone aufgesetzt. Ich werde Königin Anne sein, wie mein Vater es sich gewünscht hat.
    Achtlos werfe ich den Pelz über einen Stuhl. Ich habe jetzt einen ganzen Schrank voller Pelze, mir gehören die erlesensten Juwelen, und wie es sich gebührt, wird man mir jedes Jahr für meinen Haushalt ein Vermögen auszahlen. Ich werde ebenso ein herrschaftliches Leben führen wie die Königin vor mir. Ihre Kleider sind in meinen Besitz übergegangen, und ich werde sie auf meine Größe ändern lassen. Ich gleite zwischen die angewärmten seidigen Laken des großen Betts mit dem Baldachin aus Goldbrokat und den roten Samtvorhängen. Von jetzt an werde ich mich nur mit den feinsten Dinge umgeben. Von jetzt an ist das Beste gerade gut genug für mich. Ich wurde als Tochter des Königsmachers geboren, und morgen wird sein Plan für mich in Erfüllung gehen, und ich werde Königin. Und wenn mein Gemahl stirbt, wird unser Sohn Edward, der Enkel des Königsmachers, König, und das Haus Warwick ist das königliche Haus von England.

Königliche Reise

Sommer 1483
    D as Willkommen, das man uns bei jedem Halt entlang des Weges bereitet, belegt, dass wir das Richtige getan haben. Das Land ist fast verrückt vor Erleichterung, dass die Gefahr eines Krieges abgewendet ist und dass mein Gemahl uns den Frieden gesichert hat. Richard hat Männer um sich geschart, denen er vertrauen kann. Henry Stafford, Duke of Buckingham, hat seine Woodville-Frau zu Hause zurückgelassen und Richard als Lord Great Chamberlain von England in die Kathedrale geführt. John Howard, der für uns die Flotte von den Rivers zurückerobert hat, wird der neue erste Duke of Norfolk und behält die Schiffe, die er gewonnen hat. Er ist Lord Admiral. Mein Verwandter, der Earl of Northumberland, erhält vorerst für ein Jahr das Amt des Landeshauptmanns an der schottischen Grenze. Wir reisen ohne Wache, weil wir sicher sein können, dass uns in England jeder willkommen heißt. Unsere Feinde sind tot oder im Kirchenasyl, die Rivers-Jungen sitzen im Tower fest. Und in allen Städten, in die wir kommen – Reading, Oxford, Gloucester –, veranstalten sie Festzüge und Feierlichkeiten, um uns freudig zu begrüßen und uns ihrer Treue zu versichern.
    Die Rivers haben sich so verhasst gemacht, dass den Menschen fast jeder mächtige Herrscher lieber ist als ein Junge, dessen Familie England zu verschlingen droht. Umso erfreulicher ist, dass wieder ein Plantagenet auf dem Thron sitzt: mein Gemahl, der seinem Namensvetter und allseits geliebten Vater so ähnlich sieht, dessen Bruder das Land vor dem schlafenden König und der bösen Königin gerettet hat und der es einmal mehr aus den Klauen einer ehrgeizigen Frau befreit hat.
    Niemand fragt nach den Jungen im Tower. Niemand