Dornenschwestern (German Edition)
Lächeln nur für mich. Dann wendet sie sich wieder nach vorn, nimmt den Arm ihres gutaussehenden Gemahls und folgt ihrer Tochter in diesem Augenblick ihres höchsten Triumphes.
Nachdem wir mitten durch die große Halle an Hunderten von Menschen vorbeigeschritten sind, die beim Anblick der wunderschönen neuen Königin jubeln, und uns gesetzt haben, sehe ich wieder zu den Erwachsenen am hohen Tisch. Ich bin nicht die Einzige, die die neue Königin anstarrt. Sie zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie hat wunderschöne schrägstehende graue Augen, und wenn sie lächelt, senkt sie den Blick, als lachte sie im Stillen über ein köstliches Geheimnis. Edward, der König, hat sie zu seiner Rechten platziert, und während er ihr etwas ins Ohr flüstert, beugt sie sich so nah zu ihm, als wollten sie sich küssen. Es ist sehr schockierend und ungehörig, doch die Mutter der neuen Königin bedenkt ihre Tochter mit einem Lächeln, als sei sie glücklich, dass die beiden jung und verliebt sind. Sie scheint sich nicht zu schämen.
Sie sind eine sehr schöne Familie. Niemand kann leugnen, dass sie so schön sind, als fließe durch ihre Adern wahrhaft blaues Blut. Und es sind so viele! An unserem Tisch – als wären sie von königlichem Geblüt und hätten das Recht, bei uns, den Töchtern einer Gräfin, zu sitzen – hocken sechs Nachkömmlinge der Familie Rivers und die beiden Söhne aus der ersten Ehe der neuen Königin. Mürrisch betrachtet Isabel die vier anmutigen Schwestern der künftigen Königin – die jüngste, Katherine Woodville, ist erst sieben, die älteste, Martha, fünfzehn Jahre alt. Diese vier Mädchen brauchen alle einen Gemahl, eine Mitgift und ein Vermögen, und in England ist es schwierig, in diesen Tagen an einen Gemahl, eine Mitgift, ein Vermögen zu kommen, nach dem Krieg zwischen den rivalisierenden Häusern Lancaster und York, der zehn Jahre angedauert und vielen Männern das Leben gekostet hat. Man wird diese Mädchen mit uns vergleichen, sie sind unsere Rivalinnen. Es scheint, als würde der Hof überflutet von neuen, klaren Profilen, Haut so strahlend wie frisch geprägte Münzen, lachenden Stimmen und erlesenen Manieren. Als wäre ein Stamm schöner junger Fremder einmarschiert, als wären Statuen zum Leben erwacht und tanzten unter uns, wie Vögel, die vom Himmel herabgeflogen sind, um zu singen, oder wie Fische, die aus dem Meer springen. Meine Mutter ist rot vor Verärgerung, sie hat ein zorn-gerötetes Gesicht wie eine Bäckersfrau. Neben ihr strahlt die Königin wie ein heiterer Engel, den Kopf unablässig ihrem jungen Gemahl zugeneigt, die Lippen leicht geöffnet, als atmete sie ihn ein wie einen kühlen Lufthauch.
Das vornehme Abendessen ist aufregend für mich, denn an einem Ende unseres Tisches sitzt der Bruder des Königs, George, und am anderen Ende sein jüngster Bruder Richard. Die Mutter der Königin, Jacquetta, schenkt unserem Tisch mit den jungen Leuten ein warmes Lächeln. Vermutlich hat es ihr gefallen, uns Kinder zusammenzusetzen und uns die Ehre zuteilwerden zu lassen, George am Kopfende unseres Tisches zu platzieren. Isabel zappelt wie ein geschorenes Schaf, weil sie zwei Herzöge von königlichem Geblüt auf einmal neben sich hat. Sie weiß nicht, wohin sie schauen soll, und sie ist begierig, sie zu beeindrucken. Doch viel schlimmer ist, dass die beiden ältesten Rivers-Mädchen, Martha und Eleanor Woodville, Isabel mühelos überstrahlen. Sie besitzen das erlesene Aussehen dieser schönen Familie, und sie sind selbstbewusst und lächeln. Isabel bemüht sich zu sehr, und ich bin wie immer ängstlich unter dem kritischen Blick meiner Mutter. Doch die Rivers-Mädchen benehmen sich, als feierten sie ein fröhliches Ereignis; sie wollen sich vergnügen und erwarten keine Schelte. Sie sind selbstbewusste, vergnügungssüchtige Mädchen. Natürlich ziehen die jungen Herzöge sie uns vor. George kennt uns sein ganzes Leben lang, für ihn sind wir keine fremden Schönheiten. Richard ist noch in der Obhut meines Vaters als sein Mündel; wenn wir in England sind, wohnt er mit einem halben Dutzend anderer Jungen bei uns. Richard sieht uns drei Mal am Tag. Natürlich hat er nur Augen für Martha Woodville, die hübsch herausgeputzt ist, frisch am Hof und eine Schönheit wie ihre Schwester, die neue Königin. Doch ich bin verstimmt, dass er mich ignoriert.
George ist blond und groß und sieht mit seinen fünfzehn Jahren so gut aus wie sein älterer Bruder, der König.
«Das ist gewiss
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