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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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unternehmen, ehe sie Pencubitt mit noch mehr Klatschstoff versorgte. Ich packte sie an der Schulter. »Pearl! Komm mit. Er ist tot, Pearl. Lass uns nach Hause zu deiner Familie gehen. Du kannst hier nichts mehr für ihn tun. Er würde das nicht wollen.«
    »Woher willst du wissen, was er will, Tricky? Was irgendein Mann will? Du vertrocknete, frigide alte Jungfer!«, zischte sie mich an.
    Daraufhin johlten die Frauen noch lauter, und jemand rief: »Dafür solltest du ihr eine verpassen, Birdie!«
    Arthur erhob sich und ging auf Pearl zu. »Wenn du ihn in Ruhe gelassen hättest, wäre er nicht dort, wo er jetzt ist!«, schrie er sie an. »Die ganze Zeit hast du deine Spielchen mit ihm getrieben. Deshalb hat er sich so betrunken und deshalb haben wir ihn verloren, weil du mit ihm gestritten hast, du Hure!«
    »Scher dich zum Teufel!«, brüllte Pearl zurück. Ich musste sie mit aller Kraft festhalten. »Nur weil ich ihn dir vorgezogen habe!«
    »Pearl! Du kommst jetzt sofort mit mir mit!« Ich klang wie meine Mutter, doch mein scharfer Tonfall zeigte die gewünschte Wirkung. Sie klammerte sich an mich und ließ sich von mir wegführen.
    »Bring die Hure fort, Birdie! Sie hat hier nichts zu suchen«, rief uns ein Fischer hinterher, und Pearl gab ein Stöhnen von sich.
    »Birdie, wie konnten sie nur?«, wimmerte sie wie ein kleines Kind. »Warum hassen sie mich so sehr? Was habe ich ihnen getan? Ich bin ein menschliches Wesen, verdammt noch mal! Ich liebe ihn! Ich liebe ihn so sehr. Ich will nicht ohne ihn leben.« Sie fing an zu weinen, laute, heftige Schluchzer. Ich blieb stehen, um sie zu umarmen. Dabei spürte ich ihre dünnen Knochen und roch ihren abgestandenen Atem. Es war, als hielte ich ein winziges, schutzloses Vögelchen in den Armen.
    Wir waren gerade noch rechtzeitig gegangen. Maggie, Teddys Mutter, lief an uns vorbei in Richtung des Piers. Sie trug noch ihre Hausschuhe und die Schürze. Ich war froh, Pearl weggebracht zu haben. Zum ersten Mal hatte ich Angst vor den Bewohnern unseres Städtchens. In ihrem aufgebrachten Gemütszustand traute ich ihnen sogar zu, Pearl zu steinigen.
    Maxwell, erschöpft und blass, öffnete auf mein wiederholtes Klopfen hin die Tür. »Warum bist du dorthin gegangen?«, wollte er von Pearl wissen. »Du hattest kein Recht, dich mir zu widersetzen.« Von mir nahm er kaum Notiz. »Um Himmels willen, Pearl. Du bist ja noch nicht mal angezogen. Was sollen denn die Leute denken? Stimmt es? Ist er wirklich tot?«
    »Nimm deine Frau, Maxwell«, sagte ich und schob Pearl vor mir her. »Ja, es stimmt. Teddy ist tot.« Ich sah Maxwells entsetzte Miene, als er seine schluchzende Frau in den Armen hielt. »Lass sie nicht mehr raus, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt hat. Ich weiß nicht, wie sicher sie in Pencubitt ist.«
    Ich ließ die beiden im Türrahmen stehen und zog Snowy, der mit den Kindern spielen wollte, mit mir fort. Ich weinte. Um uns alle. Um Pearl, Maxwell, Teddy und mich selbst.
    Zu Hause platzte Mutter fast vor selbstgefälliger Genugtuung, während sie eine Schinken-Ei-Pastete zubereitete. »Es gibt einfach Frauen«, lamentierte sie, während sie etwas übereifrig die Eier verquirlte, »die den bedauernswerten, einfach gestrickten Männern mit wenig Moral Unglück bringen. Ich sage dir, die wird ein schlimmes Ende finden«, verkündete sie zufrieden und pikste dabei mit der Gabel in die Teigplatte.
    An diesen Moment musste ich oft denken, nachdem man Pearls Leiche gefunden hatte. Mutter, in unserer winzigen Küche, die Haare zu einem strengen Knoten zurückgebunden, Mehlstaub im geröteten Gesicht. Die karierte Schürze bedeckte kaum ihre riesigen Brüste. Trotz der häuslichen Umgebung hatte sie wie ein Prophet des Alten Testaments geklungen. Mir war unbehaglich zumute, als ich an meinem Tee nippte und Mutters Schimpftirade nicht entkommen konnte. Sollte ich Pearl warnen? Sie trauerte um Teddy, und ich wusste, dass sie mich auslachen würde, weil ich Mutter so ernst nahm und es mir wichtig war, was die »Grauhaarigen« von Pencubitt dachten.
    Den Rest des Tages flüchtete ich vor Mutter in die Bibliothek, wo ich an meinem Buch über Blackness House arbeitete. Bilder vom Morgen tauchten immer wieder vor meinem inneren Auge auf: die Leiche, so leer, als wäre alles, was Teddy ausgemacht hatte, vom Ozean ausgesaugt worden. Mutter, mit ihrem gehässigen Blick. Und der Ausdruck schicksalsergebener Bitterkeit auf Maxwells Gesicht, als er Pearl sah. Sie tat mir beinahe leid,

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