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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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und gleichzeitig konnte ich nicht anders, als sie um ihre Lust am Leben zu beneiden, um ihre Leidenschaft für den toten Fischer. Pearls grausame Zunge hatte die Wahrheit ausgesprochen: Was wusste ich denn schon von solchen Dingen? Selbst meine Phantasien, Pencubitt zu entfliehen, drehten sich um eintönige Häuslichkeit, eine Rolle als Hausfrau für Victor. So egoistisch Pearl auch war, sie hatte zumindest den Mut, einen tiefen Schluck vom Trank des Lebens zu nehmen. Ich hingegen hatte das Gefühl, nur zu existieren, die Tage halb zu verschlafen.
    Der heftige Regen hatte wieder eingesetzt und dafür gesorgt, dass sich nur noch eine einzige andere Person in der Bibliothek befand. Die Einwohner des Städtchens versuchten sich entweder bei einem Mittagschlaf zu erholen oder waren unten am Shelley Beach. Aus der überschaubaren Abteilung für tasmanische Geschichte hatte ich mir einen Stapel Bücher geholt, die meiner Meinung nach für mein Projekt irgendwie nützlich sein könnten. Ich blätterte gerade etwas unaufmerksam durch eine schöne, gebundene Ausgabe der Historischen Geschichten des Tasmanischen Nordwestens, als ich auf ein KAPITEL stieß, das Edward Frick Hellyer gewidmet war. Mit großem Interesse betrachtete ich die Fotografie, die ihn zeigte. Auf eine gewisse grüblerische Art war er ein attraktiver Mann. Mir fiel wieder ein, dass die Leute sich erzählten, die männlichen Hellyers wären ungewöhnlich gutaussehend gewesen. Ich überflog das Material über seine tragische Familiengeschichte – der Tod seiner Kinder, seiner Frau und seinen drauffolgenden Selbstmord –, doch dann zog ein Absatz plötzlich meine Aufmerksamkeit auf sich.
    Mr Hellyer gilt weithin als anerkanntes Genie auf dem Gebiet der Baukunst. Zu seinen innovativen architektonischen Fähigkeiten gehören ebenfalls verborgene Räume und Tunnel in beiden Häusern. Es heißt, das Poet’s Cottage verfüge angeblich über einen Tunnel, der zum Meer führt und über den Sträflinge aus Tasmanien herausgeschmuggelt wurden. Gerüchten zufolge soll es einen weiteren Geheimgang zwischen Blackness House und dem Poet’s Cottage geben.
    Ich ließ das Buch sinken und starrte wie hypnotisiert in die Luft. Vielleicht handelte es sich bloß um eine irre Geschichte. Ich hatte weder Pearl noch Maxwell je irgendwelche Tunnel erwähnen hören, die zum Haus führten. Mir fiel die Angst der Arbeiter wieder ein, als sie die versteckte Kammer in Blackness House entdeckten – dieses Zimmer war zweifellos eine von Hellyers heimlichen Ergänzungen gewesen. Falls dieser Teil der Geschichte stimmte, dann gab es im Poet’s Cottage möglicherweise tatsächlich verborgene Gänge. Ich wurde ganz aufgeregt und beschloss, Maxwell zu fragen, ob er irgendetwas über deren Existenz wusste, worüber ich meinen vorherigen Schwur, mich von ihm fernzuhalten, völlig vergaß.
    Wieder starrte ich das Foto des dunkelhaarigen, jugendlichen Edward an. Was für ein tragisches Ende, bei so viel Talent und Potential! Ich verspürte eine Verbundenheit mit ihm, die ich nicht rational erklären konnte. Wie gerne würde ich seine Biographie schreiben und seine ganze Geschichte erzählen.
    Als ich Stimmen hörte, blickte ich auf. Der Bibliothekar unterhielt sich flüsternd mit einer Dame vom Ort, und ich ertappte die beiden dabei, wie sie in meine Richtung sahen. Zweifellos tratschten sie über Teddy. Der Bibliothekar hatte sich schon komisch benommen, als ich vorhin meine Bücher auslieh. Er kannte mich seit Jahren – war sein Verhalten also eine Folge meiner Freundschaft mit Pearl? Hatte Mutter die ganze Zeit recht gehabt und mein Ruf war nun durch Pearl und ihr skandalöses Verhalten ebenfalls beschädigt?
    Als ich auf den Heimweg war, zogen zwei Pferde eine Kutsche durch den Regen an mir vorbei. Mein geblümtes Kleid war nass und meine Hände in den Baumwollhandschuhen feucht. Das Atmen fiel mir schwer, denn ich war gleichzeitig nervös und innerlich angespannt. An der Anlegestelle der Fischer blieb ich stehen, um die Meerluft einzuatmen. Von Teddys Familie war niemand mehr zu sehen. Vermutlich hatten sie sich zu Hause mit ihrer Trauer eingeschlossen. Das Leben in einem Dorf war nervtötend, weil jeder über alles Bescheid wusste, aber wenn ein Unglück passierte, konnte man auf seine Nachbarn zählen. Die Frauen buken jetzt sicher für die kommenden Wochen, so dass Mrs Stephens sich nicht um die Mahlzeiten für die Familie kümmern musste. Die Männer saßen mit einem weinenden oder

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