Dornentöchter
schwarzen Spitzenkleid über den gerippten Strumpfhosen, Betty neben ihr in einem rosa Kunstfellmantel mit einem langen pinkfarbenen Seidenrock darunter und einem Männerfilzhut.
Sie beobachtete, wie Betty sich heiße Pommes in den Mund schob, und spürte wieder das Glücksgefühl, das sie immer überkam, wenn sie ihre Tochter essen sah. Die tasmanische Luft hatte sie hungrig gemacht, und die heißen, mit Essig beträufelten Pommes schmeckten so gut, wie sie rochen. »Ich war am Verhungern!«, stellte Sadie fest. »Das Essen hier ist viel besser als in Sydney.«
»Stimmt.« Betty konnte kaum antworten, weil sie den Mund voll Fisch hatte.
Warum waren die einfachsten Momente oft die besten?, fragte sich Sadie. Lang ersehnte Ereignisse erfüllten oft nicht die Erwartungen, aber einfach nur mit ihrer Tochter dazusitzen und Fish and Chips zu essen, bereitete ihr so viel Freude.
Nach dem Essen spazierten sie zur Dorfwiese hinüber, die von weiß gekalkten Cottages aus Blaustein eingefasst wurde und an ein englisches Dorf erinnerte. In der Mitte der Grünfläche befand sich ein riesiges steinernes Denkmal, das mit keltisch anmutenden Zeichnungen von Nixen und Fischern und geheimnisvollen Symbolen verziert war. Am Fuß des Denkmals standen frische Blumen. Sadie kannte die Inschrift bereits.
In liebevoller Erinnerung an Edward Noah Stephens
Gestorben am 11 . Juni 1936
Von der Siren’s Tresses ins Meer gespült.
Trotz all unseren tapferen
Rettungsversuchen wurde er von unserem Herrn
in den Schlaf des ewigen Friedens geholt.
Dieses Denkmal wurde von seinen trauernden Eltern
Dennis und Maggie Stephens und
seinem Bruder Arthur Dennis Stephens errichtet.
Möge unser Junge in Frieden ruhen.
»Tragisch, nicht wahr?«, bemerkte Sadie. »Die armen Eltern. So viel Trauer.« Wie schon in der Vergangenheit sann sie über die Möglichkeit nach, ob Teddy Stephens wohl der Auslöser für den Tod ihrer Großmutter gewesen war. Vor seinem Tod hatte man allerorts gemunkelt, die beiden hätten eine Affäre. »Findest du Geschichte nicht auch faszinierend, Betty? All die Leidenschaft und die großen Dramen, die das Leben eines Menschen formen und es wie in einem Spinnennetz mit der nächsten Generation verknüpfen.«
»Nicht wirklich«, entgegnete Betty. »Ich bevorzuge die Gegenwart. Das sind doch bloß tote Menschen, Mum. Von Würmern aufgefressen und zu Staub zerfallen. Ich glaube, die Leute sind manchmal zu sehr von der Vergangenheit besessen. Das Hier und Jetzt ist das, was zählt.«
Sadie sah ihre Tochter an und ihr Herz schien sich zusammenzuziehen und zu flattern wie immer, wenn sie bewusst wahrnahm, wie schön Betty war: das karamellfarbene Haar, das ihr über den Rücken fiel, ihre schlanke Gestalt und die dunklen Rehaugen, die immer so viel wahrnahmen und eine innere Traurigkeit widerspiegelten, die Sadie nie durchdringen konnte. Wie konnte ich etwas so Wunderschönes erschaffen?, dachte sie und erwiderte dann: »Also, mein Hier und Jetzt ist perfekt, weil ich mit dir zusammen bin.«
Sie hakten sich ein und spazierten langsam zum Haus zurück.
KAPITEL 3
Das Miauen der Katze
Es vergingen zwei Wochen, bis Sadie Gelegenheit hatte, Birdie zu besuchen. Termine an der Burnie Highschool mussten wahrgenommen werden, die Betty besuchen würde, weil es in Pencubitt selbst keine Highschool gab, sowie Einkäufe fürs Haus getätigt werden. Außerdem hatte Sadie einen Abgabetermin für die Zeitschrift Women’s World . Sobald sie ihren Artikel über Frauen mittleren Alters per E-Mail weggeschickt hatte, war endlich genug Zeit, um Birdies Einladung zu folgen.
»Kommen Sie rein, meine Liebe. Oh! Heute Abend ist es kalt draußen! Nein, Liebes, es ist nicht zu spät. Ich habe zu Abend gegessen und wollte mir gerade einen Tee kochen.« Birdie zog ihren Umhang fester um die Schultern und führte Sadie ins Haus. »Wie schön, Sie hier bei mir daheim begrüßen zu dürfen. Lassen Sie sich von Dash nicht stören. Dash! Sei still! Benimm dich. Sadie ist unser Gast!« Der kleine Malteser-Terrier sprang aufgeregt kläffend um Sadie herum. »Dash!«, rief Birdie, woraufhin der Hund schließlich verstummte und sich hechelnd auf den Boden fallen ließ. Birdie wandte sich an Sadie. »Kommen Sie mit in den Wintergarten, Liebes. Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Sehr gerne. Aber Sie müssen mich nicht bedienen, Birdie. Lassen Sie mich das machen.«
»Unsinn! Ich bin vielleicht alt, aber nicht krank. Sie warten hier mit Dash, und ich setze das Wasser
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