Dornentöchter
verrückte Sekunde lang dachte Sadie, die Katze hätte gesprochen, dann drehte sie sich um und sah eine Frau hinter sich stehen. Es war die elegante Blonde, die sie an ihrem ersten Morgen im Poet’s Cottage vom Fenster aus erspäht hatte. Wie schon damals war die Frau auch an diesem Abend perfekt zurechtgemacht: Sie hatte ein violettes Tuch um den Hals geschlungen und ihr Make-up war makellos. Das einzige Unpassende war der Karton Milch in ihrer Hand. Sadie war sich ihres abgesplitterten Nagellacks und der abgetragenen, flachen schwarzen Schuhe plötzlich sehr bewusst.
»Hallo, ich bin Maria. Maria Collins. Ich wohne in der Lodge.« Maria zeigte auf das eindrucksvolle georgianische Gebäude. »Großartiger Name, nicht wahr? Sie ist trotzdem eine großartige, alte, schäbige Dame. Willkommen in Pencubitt. Oder eher, willkommen zurück! Sie sind eine Tatlow, und die Tatlows kehren immer wieder zurück!«
»Das habe ich jetzt schon ein paar Mal gehört.« Sadie schüttelte Marias ausgestreckte Hand. »Vielen Dank für den Korb, den Sie uns vor die Tür gestellt haben. Ich hatte vor, Sie anzurufen. Sind Sie aus Pencubitt?«
»Nein. Wir sind sozusagen frisches Blut. Wir sind jetzt seit ungefähr elf Jahren hier, und ich vermute mal, man wird uns immer noch als frisches Blut betrachten, wenn wir dreißig Jahre hier wohnen. Ich komme vom Festland und mein Mann, Allister, ist Engländer. Wir wohnen hier in der Lodge und uns gehört das Piratennest Bed & Breakfast unten am Wasser.«
»Das habe ich gesehen. Es ist bezaubernd!«, stellte Sadie begeistert fest. »Ist es schwierig, sich in einer Stadt dieser Größe mit Pensionsgästen den Lebensunterhalt zu verdienen? Falls das keine unhöfliche Frage ist!«
»Nein, fragen Sie nur! Es geht einigermaßen. Wir werden den Kindern keine Schulden hinterlassen, aber zu Millionären werden wir sie auch nicht machen. Es war verdammt viel einfacher, bis Gracie angefangen hat, die Stadt aufzukaufen.«
»Gracie?«
»Sie haben noch nicht von Gracie gehört? Sie müssen wirklich mehr unter die Leute! Ich bin überrascht, dass eine von den alten Gänsen hier Sie noch nicht eingeweiht hat. Gracie Johnson Mason – die Königin von Pencubitt, wie ich sie nenne. Sie stammt ursprünglich aus Kanada und hat in den letzten acht Jahren so viele alte Häuser in Pencubitt aufgekauft, wie sie nur konnte, einschließlich das Blackness House. Ich glaube, sie besitzt jetzt ungefähr sieben. Darunter auch ein paar hier in der Straße: Sie hat es speziell auf historische Gebäude abgesehen. Allerdings machen sie es ihr hier natürlich auch leicht.« Maria blickte sich um und senkte dann die Stimme, obwohl nirgends jemand zu sehen war. »Die Einheimischen mögen die alten Häuser nicht. Zu feucht und kalt, sagen sie, man muss zu viel Arbeit reinstecken. Sie wohnen lieber weiter draußen in modernen Backsteingebäuden.« Sie zog eine Grimasse, die ihre Einstellung dazu deutlich zum Ausdruck brachte.
»Und was hat die Königin von Pencubitt mit all diesen Häusern vor? Pensionen?«
»Mit B&Bs käme ich besser klar als mit der Realität. Nein, sie ist eine Exzentrikerin, die sie kauft, ein Vermögen in die Renovierung investiert und die Häuser dann leer stehen lässt. Sie lagert darin die Möbel, die sie auf ihren Reisen um die Welt gesammelt hat. Sie erzählt allen, sie würde sie für ihre Kinder herrichten, aber keines von denen hat je mehr als zehn Minuten in Pencubitt verbracht. Sie sind zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, um sich für dieses Provinznest zu interessieren. Die arme Gracie. Ich glaube, sie sah es als eine Möglichkeit, ihre Familie zusammenzuhalten, nachdem sie ihren Sohn verloren hatte.«
Flüsternd fuhr Maria fort: »Sie ist ziemlich verrückt, müssen Sie wissen. Reich und verrückt. Sie macht mich wahnsinnig! Ich hatte da ein Haus im Auge, aber sie hat es sich sofort gekrallt, als Ruby gestorben ist. Alte Häuser verdienen es, dass man ihre Seelen wiederherstellt und in ihnen wohnt. Nicht renoviert zu werden, damit sich Spinnen und Staub darin ungestört versammeln können. Gott behüte sie, sie ist eine der nettesten, liebenswürdigsten Damen, der Sie je begegnen werden – aber völlig verrückt. Es überrascht mich, dass sie noch nicht bei Ihnen geklopft und versucht hat, das Poet’s Cottage zu kaufen. Ich persönlich würde das Poet’s wegen seiner Gespenster und seiner Geschichte lieben. Nichts zieht Gäste mehr an als ein schöner Geist im Zimmer. Sollten
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