Dornentöchter
Sie je verkaufen wollen, kommen Sie zuerst zu mir! Es war ein ganz schöner Schlag, als wir erfuhren, dass Sie vorhatten, das Haus zu übernehmen – also nichts für ungut. Haben Sie sie schon gesehen?«
Sadie, die immer noch versuchte, die Vorstellung zu verdauen, dass Leute vom Festland hier Häuser aufkauften, als handle es sich um ein Monopoly-Spiel, schüttelte den Kopf. »Meine Großmutter? Nein, ich weiß nicht, ob ich an Geister glaube, obwohl das Haus etwas von ihrem Wesen behalten zu haben scheint. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt.« Eine Welle des Bedauerns wegen der Großmutter, die sie nur durch die Geschichten ihrer Mutter kannte, überrollte Sadie, gefolgt von überwältigender Sehnsucht nach ihrer Mutter. Wie sehr Marguerite dieses ganze Lokalkolorit und den Tratsch genossen hätte! Der einzige Geist, den Sadie sehen wollte, war der von Marguerite, doch sie konnte ihre Mutter hier irgendwie überhaupt nicht spüren.
»Familie, was?«, meinte Maria. »Man kann nicht mit, aber auch nicht ohne. Ihre Großmutter ist hier eine echte Berühmtheit. Sie war wunderschön, nicht wahr? Wobei die Frauen damals immer so elegant aussahen.« Maria musterte ihre Gesprächspartnerin, und ihre wachen meergrünen Augen erinnerten Sadie an den stets gegenwärtigen Ozean.
Die freundliche Katze tauchte wieder auf, rieb sich an ihren Beinen und schnurrte. Maria hob sie hoch und kraulte sie unterm Kinn. »Sie sehen ihr ein bisschen ähnlich. Es muss wunderbar sein, mit einer solch schillernden, glamourösen Frau verwandt zu sein. In meinem Stammbaum gibt es einen Sträfling, aber das ist auch so ziemlich das Interessanteste. Man hat ihn hierher deportiert, weil er Brot geklaut hat, der arme Kerl.
Wir haben übrigens noch ein paar andere Schriftsteller und Künstler in Pencubitt. Da ist zum Beispiel Jeremy, der Gedichte schreibt und hübsche Bilder von düsteren, abstrakten Meerlandschaften malt. Nicht ganz mein Geschmack, aber die Leute vom Festland stehen drauf. Momentan sind tasmanische Künstler durchaus gefragt. Angeblich sind wir in! Mary Donaldson und so. Dann gibt es noch Birdie. Sie ist eine seltsame Frau, nicht wahr? Erstaunlich für ihr Alter. Sie ist immer noch ganz da.« Maria tippte sich an die Stirn. »Ich habe die Biographie gelesen. Wirklich eine ziemliche Spinnerin, Ihre Großmutter, wenn Sie es mir nicht übelnehmen, aber eine echte Persönlichkeit. Ich hätte sie zu gerne kennengelernt! Sie ist so etwas wie die Norman Lindsay von Tasmanien – können Sie sich vorstellen, wie sie es am Strand getrieben hat oder nackt hier herumgelaufen ist? Den Kindern haben ihre Bücher gut gefallen, als sie noch klein waren. Ich würde zu gerne schreiben, wenn ich die Zeit dazu hätte. Keine Kindergeschichten wie Pearl, sondern Romane für Erwachsene. Im Piratennest bekomme ich jedenfalls genug Material, um mehrere Bücher zu füllen. Ich könnte die Jackie Collins von Pencubitt sein!« Die beiden Frauen lachten. »Also, ich sollte wohl besser mal reingehen. Sonst denkt Allister noch, ich bin mit einem der Fischer durchgebrannt. Vielleicht mögen Sie ja mal auf einen Kaffee vorbeikommen?«
»Sehr gerne«, erwiderte Sadie und meinte es auch so. Sie hatte das Gefühl, in der lebenslustigen, fröhlichen Maria eine mögliche Freundin gefunden zu haben.
Während ihres zehnminütigen Heimwegs hoffte Sadie, dass auch Betty bald gute Freundinnen finden würde. Sie wollte, dass ihre Tochter das neue Leben genoss. Es versetzte ihr immer wieder einen Stich, wenn sie an die Hänseleien dachte, die Betty so lange schweigend erduldet hatte. Sadie blieb stehen und sah zum Poet’s Cottage hinauf. Der riesige Mond schien fast die Kamine zu berühren und der Nebel hüllte Haus und Garten ein. Sie schüttelte verwundert den Kopf, dass das Leben sie in dieses Haus gezogen hatte. Es war, als sei der Geist von Poet’s Cottage ein lebendiges Wesen, das die Hand nach ihr ausstreckte und sie bat, renoviert und bewohnt zu werden. Als würde es sich nach Poesie, Lachen, Kreativität und Leben sehnen. Lieber Gott, falls es in diesem Haus Geister gibt, dachte Sadie, dann lass sie bitte sanft sein. In diesem Moment verspürte sie nichts als Liebe und die Sehnsucht, geliebt zu werden.
»Mummy? Bist du da?«, flüsterte Sadie. Das Donnern der Wellen auf dem Strand war die einzige Antwort. Als sie das Haus betrat, fühlte sie sich töricht. Für einen Beobachter von der Straße aus hätte es so ausgesehen, als hätte das Poet’s Cottage
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