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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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bedachten, war, dass Pearl eine ernsthafte Schriftstellerin war. Sie nahm ihr Handwerk ernst, und es ärgerte sie immer wieder, dass andere das nicht taten. Maxwell, der Gute, hatte keinen Funken Kreativität im Leib und war entsetzt über Pearls Unhöflichkeit, ihre Schreibzeit nicht der Unterhaltung von Besuch zu opfern, selbst wenn es sich dabei um ungebetene Gäste handelte. Wie die meisten Männer damals betrachtete Maxwell es als selbstverständlich, dass bei jeder achtbaren Frau das Heim an erster Stelle stand. Wie wir jedoch herausfinden sollten, war Pearl alles andere als achtbar. Sie wurde oft als »halbseiden« bezeichnet, weil sie sich schminkte und außerdem rauchte. »Halbseiden« war eine Bezeichnung, die mich gleichermaßen abstieß und faszinierte. Trotz Mutters Verachtung für halbseidene oder liederliche Frauen, interessierten sie mich. Mit siebzehn war ich noch völlig unschuldig. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, als ich mit fünfzehn durch Gespräche auf dem Schulhof herausfand, wo Babys herkommen. Ich hätte Mutter nie etwas über Sex fragen können. Frauen, die halbseiden waren, stellten für mich eine gefährliche Art der Freiheit dar.
    Die einzigen Gäste, die Pearl hereinbat, waren Mrs Bydrenbaugh vom Blackness House und ihre neunzehnjährige Tochter, Violet. »Geld und Geld gesellt sich gern«, schnaubten die Dorfbewohner, als sie Pearl Arm in Arm mit den beiden Frauen herumspazieren sahen oder als Mrs Bydrenbaughs Wagen, Marke Vauxhall – darin das lachende Trio, die Frisuren durch Hüte mit Schleier geschützt –, an den Passanten vorbeischoss und den Frieden der High Street störte. Mich erstaunte die ungewöhnliche Paarung der dunkelhaarigen, kultivierten Pearl mit Violet, die eher einer hübschen blonden Milchmagd glich. Oberflächlich betrachtet hatten die beiden wenig Gemeinsamkeiten: Pearl war Ehefrau und Mutter, Violet ein unverheiratetes Mädchen. Ich war außerdem, um ganz ehrlich zu sein, neidisch. Meine Schüchternheit machte es mir schwer, Freunde zu finden, und nur wenige in Pencubitt teilten meine künstlerischen Interessen. Pearl und Violet wirkten so sorglos und selbstbewusst. Das lag am Geld, sagte ich mir, und glühte vor Bitterkeit, dass es in unserem Haus so knapp war. Geld öffnete einem Türen, die sonst für immer verschlossen blieben. Bevor Pearl auftauchte, hatte sich Violet nie mit jemandem aus Pencubitt abgegeben. Sie war immer die unnahbare Märchenprinzessin gewesen, ging in Launceston aufs Internat und ließ sich nur selten auf der Straße blicken. Ich machte denselben Fehler wie so viele von uns in Pencubitt, nämlich Dinge anzunehmen, von denen wir keinerlei Kenntnis hatten: Man glaubte allenthalben, Pearl sei reich. Die Pelze, die sie trug, und die teuren Schuhe, all das nährte diesen Mythos. Wir betrachteten es als Selbstverständlichkeit, dass sie zu jener Zeit zwischen den Kriegen, als so viele mit finanzieller Not kämpften, einfach glücklich gewesen sein musste. Sie hatte schließlich alles, oder etwa nicht?
    Ich begegnete Maxwell einige Male und spürte seine Enttäuschung, dass ich noch nicht im Poet’s Cottage vorbeigeschaut hatte. Er schien meine Ausreden über den Gesundheitszustand meiner Mutter und mein Blackness-House-Projekt zu akzeptieren, doch sein attraktives Gesicht wirkte einen Hauch verschlossener als früher. In seinem Blick lag eine Frage, die er aber nicht aussprach. Das Schicksal war jedoch fest entschlossen, dass ich mein mangelndes Selbstbewusstsein überwinden sollte. Nachdem ich Pearl über mehrere Monate hinweg erfolgreich aus dem Weg gegangen war, stellte es mich ihr eines Tages direkt in den Weg.
    Es war am Spätnachmittag und ich führte Snowy, meinen West-Highland-Terrier, am Shelley Beach spazieren, wo wir die Meerbrise genossen, die meine Haare flattern und Snowy wie verrückt herumtollen ließ. Seine akrobatische Darbietung, wie er in die Luft sprang und unsichtbare Kobolde jagte, sollte mich beeindrucken. Riesige Wellen mit weißen Schaumkronen brandeten an Land und die Abgeschiedenheit des Strandes regte meine Phantasien über Meerjungfrauen, Piraten und fremde Länder an. Dann ein unwillkommener Eindringling: Die unverwechselbare Gestalt von Pearl Tatlow kam auf mich zuspaziert, gegen die Kälte in einen dicken Mantel gewickelt. Ich war gefangen. Kein Ort, an dem ich mich hätte verstecken können.
    Sie blieb vor mir stehen und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Na, wenn das nicht die einzige Person

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