Dornentöchter
für Sträflings- und Meeresfrüchtefans. Amerika ist für den Mann der Zukunft. Na ja, eine große Zukunft hatte er nicht, mein Liebling. Ach, es ist wirklich grausam, wenn man das eigene Kind überlebt. Haben Sie Kinder?«
»Ja – ein Mädchen, Betty.«
»Da haben Sie Glück. Ein Mädchen wird eher in Ihrer Nähe bleiben, statt auf Safaris loszuziehen oder kleine Maschinen zu fliegen. Andererseits, meine Trixie-Belle lebt in Paris, und die sehe ich auch nie. Und ihr armer Daddy, der liegt ebenfalls kalt und tot in kanadischer Erde.«
»Gracie?« Ein attraktiver dunkelhaariger Mann war im Türrahmen aufgetaucht.
»Ich habe jetzt Zeit für Sie.« Sein Blick wanderte zu Sadie. »Es wird nicht lange dauern, Mrs Jeffreys«, sagte er.
»Verstehen Sie jetzt?«, zischte Gracie Sadie zu, ehe sie ihre Siebensachen zusammensammelte und ins Behandlungszimmer marschierte. Verstehen Sie jetzt?, sollte wahrscheinlich so viel heißen wie Verstehen Sie jetzt, wieso ich herkomme?, begriff Sadie. Sie musste nicht lange warten, denn schon bald starrte auch sie von unten in das schöne Gesicht des Zahnarzts, was aufgrund der Nähe ziemlich verwirrend war.
»Bitte aufmachen.« Garys Hand berührte vorsichtig ihren Kiefer. Er blickte forschend in ihren Mund und begann, darin herumzustochern. »Ja, Sie haben sich eindeutig ein Stück vom Backenzahn abgebrochen, aber ich denke, ich kann Ihnen eine Füllung machen. Ich werde Ihnen jetzt eine Spritze geben, aber es sollte nicht besonders unangenehm werden.«
Na toll, dachte Sadie. Kann denn nie etwas glattgehen?
Eine junge hellblonde Helferin bereitete ein Tablett vor, und Gary zog ein Betäubungsmittel aus einer Glasphiole. »Nur ein kleiner Pikser.«
Sadie lehnte sich zurück und schloss die Augen, während sie spürte, wie sich die Nadel in ihr Zahnfleisch bohrte.
»Ist er verheiratet? Schwul?«
Sadie musste über die Fragen ihrer Tochter abends lachen – die zwei Fragen, die sich in Sydney jede Frau bei der Begegnung mit einem Exemplar des anderen Geschlechts stellte. »Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Männer sind so ziemlich das Letzte, was mich im Moment interessiert. Wie war’s denn in der Schule?« Sie sah von den Salatblättern auf, die sie gerade wusch, in der Hoffnung, es zu merken, falls ihre Tochter log.
»Ganz okay. Irgendwie komisch mit Jungs in der Klasse. Die Lehrer scheinen in Ordnung zu sein. Da waren noch ein paar andere neue Schüler in meiner Klasse. Noch ein Mädchen aus Sydney. Es ist ganz anders als in St. Catherine’s.«
»Na, das ist doch gut, oder?« Sadie versuchte neutral zu klingen. Bring sie nicht gegen dich auf. Bleib normal und entspannt.
»Kann sein. Es ist ein bisschen seltsam. Fast alle dort kennen sich schon von klein auf. Einige von ihnen haben sogar als Babys miteinander gespielt.«
»Du hast ja anscheinend bereits einiges über sie in Erfahrung gebracht. Hast du schon Anschluss gefunden?« Locker und entspannt, Sadie , ermahnte sie sich selbst, während sie die Tomaten für den Salat in Scheiben schnitt.
»Sie waren ganz nett. Ein paar Mädchen haben in der Mittagspause mit mir geredet. Eine war total fett, aber irgendwie schien sie sich gar nichts draus zu machen. Sie meinte, Männer würden üppige Frauen sowieso lieber mögen. Aber ich fand sie einfach nur fett.«
»Wie hieß sie denn?« Sadie betrachtete die zarte Gestalt ihrer Tochter mit einem innerlichen Seufzer.
»Keine Ahnung. Hab ich vergessen.« Betty nahm sich ein Stück Sellerie und kaute geräuschvoll darauf herum. »Sie hatte ein hübsches Gesicht und riesige Brüste. Männer finden sie wahrscheinlich attraktiv.«
Wie inzwischen immer, aßen sie im etwas förmlichen Speisezimmer, dessen Ambiente sie mit einer Vase voller pinkfarbener Rosen aus dem Garten aufgelockert hatten. In Sydney hatte Sadie lieber in der Küche gegessen: Das war für sie das Herz eines jeden Hauses, ein perfekter Treffpunkt für die Familie. In der Küche des Poet’s Cottage herrschte jedoch eine unheimliche Atmosphäre, mit dieser kleinen Tür zum Keller und den feuchten Stufen, die hinabführten zum dunklen Geheimnis des Cottages.
Betty schwieg die meiste Zeit während des Abendessens. Sadie hoffte, dass sie lediglich müde war von ihrem ersten Tag an der neuen Schule. War diese ganze Umstellung für ihre Tochter zu viel gewesen? Würde sie an der Burnie Highschool Freunde finden und in eine Clique aufgenommen werden? Oder würde Jack recht behalten, dass sie
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