Dornentöchter
uns.«
»Na und? Lass sie doch. Wahrscheinlich denken sie sich, was deine Mutter für ein heißer Feger ist.«
»Träum weiter, Mum. Fahr los – nun fahr schon!«
Während Sadie beobachtete, wie Betty in den Schulbus einstieg, spürte sie das vertraute Gefühl der Erleichterung, dass sie jetzt etwas Zeit für sich hatte – vermischt mit Angst um ihre Tochter. Sie hoffte, dass die Burnie Highschool wirklich keinerlei Schikanen unter Schülern duldete und dass Betty nicht wieder unter gemeinen Klassenkameradinnen zu leiden hätte. Sie winkte dem Bus nach und warf ihr ein Kusshändchen zu. Betty winkte etwas verkrampft zurück, dann setzte sie sich auf einen freien Platz, wobei sie verletzlich und allein wirkte.
Mist, dachte Sadie. Und jetzt zum Zahnarzt.
»Neue Patientin?« Die sympathische Frau am Empfang blickte auf und lächelte. »Ah, natürlich, Sie sind Sadie Jeffreys. Ich habe Ihre Nachricht gehört. Wenn Sie bitte dieses Formular ausfüllen würden? Sie können gerne dort drüben Platz nehmen.« Sie deutete auf ein paar Stühle im Wartezimmer.
Eine andere Frau saß bereits dort. Sie sah neugierig von ihrer Zeitschrift auf, und Sadie konnte nicht anders, als sie ebenfalls anzustarren. Es handelte sich um eine der exzentrischsten Personen, denen Sadie in Pencubitt bisher begegnet war: Die Dame trug einen violetten Hut mit einer großen Feder und einen hellgelben Künstlerkittel, der an der Seite von einer schwarzen Schleife zusammengehalten wurde. Platinblond gefärbtes Haar umrahmte ihr rundes, kindliches Gesicht, und an den Füßen trug sie goldene Turnschuhe. Sie erinnerte Sadie an eine überdimensionale Puppe. Noch bevor die Frau sie ansprach, hatte Sadie bereits erraten, um wen es sich handelte.
»Verzeihen Sie«, sagte die Dame mit einem Lächeln. »Ich konnte es gerade nicht überhören. Sind Sie die Tatlow, die ins Poet’s Cottage zurückgekehrt ist? Sadie?«
»Ja, das bin ich. Und Sie müssen Gracie sein.« Sadie lächelte zurück und streckte ihr die Hand hin.
»In Pencubitt gibt es keine Geheimnisse. Scheußliches Wetter, nicht wahr?«, erwiderte Gracie und schüttelte Sadies Hand. Dann bot sie ihr eine Tüte sündhaft verführerischer Bonbons an. »Mögen Sie ein Toffee? Nein? Wahrscheinlich keine gute Idee, was? Wenn man bedenkt, wo wir gerade sind! Aber ich bin einfach abhängig von dem Zeug. Kommen Sie zum Anhimmeln oder zum Nachschauen?«
»Wie bitte?« Sadie war sich nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte.
»Aha, dann wohl eher zum Nachschauen.« Gracie wickelte ein Toffee aus. »Ich hab versucht, das Poet’s Cottage zu kaufen, müssen Sie wissen. Nicht für mich, sondern für meine jüngste Tochter, Bambi. Das Letzte, was ich brauche, ist noch so ein altes, feuchtes Haus am Meer. Meine Bambi hat drei Kleine, und ich dachte, ein hübsches, romantisches Haus mit Geschichte wäre ein Anreiz für sie, nach Pencubitt zu ziehen. Aber wegen Ihnen hab ich es nicht bekommen.« Traurig starrte sie Sadie an, die der Versuchung widerstehen musste, sich dafür zu entschuldigen. »Bambi hat gesagt, dass sie Sydney niemals verlassen würde. Sie wohnen im Westen der Stadt in einem umgebauten Reihenhaus. Ich ließ Mr – Mr Wiehießerdochgleich? – von der Zeitung ihr einen Link mailen, aber sie hat nie darauf geantwortet.«
Sadie verbiss sich die Bemerkung, dass jemand mit dem Namen Bambi wohl gute Gründe hatte, sich möglichst von seiner Mutter fernzuhalten. Sie versuchte, sich eine Zukunft vorzustellen, in der Betty ein von ihr unabhängiges Leben führen würde. Das Gefühl war unerwartet schmerzhaft.
»Ihnen gehören hier in der Gegend einige Häuser, was man so hört«, sagte sie in einem Versuch, Gracie abzulenken.
»O ja, das stimmt!«, bestätigte Gracie. »Ich besitze, warten Sie …« Sie zählte sie an ihren fleischigen, schwer beringten Fingern ab. »Das alte Pfarrhaus, das Schmugglernest, die Bäckerei, das Daffodil Cottage, das alte Gefängnis. Was noch? Ach, mir fallen nie alle ein! Ich selbst wohne in Blackness House, also gehört mir das natürlich auch. Mein Sohn Oscar ist letztes Jahr gestorben. Ein Flugzeugabsturz in New Mexiko. Toffee? Ups, ich vergaß.«
»Das tut mir leid«, sagte Sadie und spürte, wie sich ihr Herz der anderen Frau öffnete.
»Ich wollte, dass er hierher zu mir nach Pencubitt zieht, aber er hat mich immer nur ausgelacht. Mummy, sagte er, da würde ich mir lieber die Eier abschneiden, als in dieses verschlafene Nest zu ziehen. Tasmanien ist was
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