Dornentöchter
besser auf St. Catherine’s geblieben wäre, trotz der gemeinen Zicken, die die ganze Schule terrorisierten? Es war schwierig, die Mutter eines Einzelkinds zu sein. Mit Geschwistern hatte man automatisch Spielkameraden. Sadie wusste gar nicht mehr, wie oft sie sich in den letzten Jahren darum gesorgt hatte, ob Betty von anderen Kindern akzeptiert wurde oder nicht.
Jack dagegen hatte sich nie besonders viele Gedanken gemacht. »Du machst dir zu viele Sorgen«, hatte er gesagt. »Sie wird ihren Weg gehen. Wenn du wie eine Glucke dauernd über sie wachst, bestätigst du sie doch nur in ihrer Angst, dass sie keine Freunde finden wird. Sie ist ein hübsches, talentiertes Mädchen. Natürlich werden die Leute sie mögen! Wer sollte nicht mit ihr befreundet sein wollen.«
Jack verstand nicht, dass hübsche, talentierte Mädchen genau wegen dieser Merkmale zu Außenseitern wurden. Betty war an ihrer alten Schule oft wegen ihrer Schönheit und der Tatsache, dass sie aus einem anderen gesellschaftlichen Umfeld als die meisten stammte, gepiesackt worden. Sie bekam ein Stipendium und war eine Fremde in einer Welt, in der Daddy Mitglied im Yachtclub war und Mummy ihre Zeit in teuren Boutiquen, bei Kosmetikbehandlungen und Wohltätigkeitsveranstaltungen verbrachte. Wie ungern war Sadie zu den Elternabenden gegangen, wo es niemanden zu interessieren schien, was man über die Schule dachte oder wie man sich dort fühlte. Wichtig waren lediglich Schuhe, Haarschnitt und das Renommee des Ortes, an dem man seine Ausbildung erhalten hatte – kurz, ob man zu ihnen gehörte. Sadie und Betty waren Außenseiter gewesen und hatten einen hohen Preis dafür bezahlen müssen. Sadie wusste, dass sie niemals eine Toilettenspülung nach dem Essen hören konnte, ohne sofort zu befürchten, Bettys Essstörung könnte zurückgekehrt sein. Sie gab sich selbst die Schuld, dass Betty an ihrer Schule so viel hatte erleiden müssen, auch dafür, dass sie die Warnsignale nicht sofort erkannt hatte. Zu jener Zeit war sie so mit ihrer Arbeit als freie Journalistin für diese blöde Zeitschrift und den ständigen Abgabeterminen beschäftigt gewesen, dass ihr entging, was direkt vor ihrer Nase passierte.
Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und so griff Sadie, als Betty nach dem Abendessen hochgegangen war, um ihre Hausaufgaben zu machen, zum Telefon und wählte Jacks Nummer. Sie konnte den Fernseher im Hintergrund laufen hören, als er abnahm. Gemütlich. Häuslich. Sie stellte sich vor, wie er mit Jackie im Arm auf der Couch lag und fernsah.
»Sie wird schon klarkommen«, versicherte er ihr, nachdem Sadie von Bettys Tag erzählt hatte. »Mit deinen ständigen Sorgen bringst du dich noch vorzeitig ins Grab, Sadie. Bets ist eine Kämpfernatur. Sie wird nicht aufgeben.«
»Ich dachte nur …« Sadie atmete tief durch. »Ich habe einfach Schuldgefühle, dass ich sie aus ihrer vertrauten Umgebung in Sydney gerissen habe. Das ganze Umfeld, ihre Freunde ……«
»Ihre Freunde? Dieser Haufen hochnäsiger Flittchen hätte sie beinahe in den Tod getrieben! Außerdem habe ich dich davor gewarnt, wegzuziehen. Ich hätte mich verdammt noch mal durchsetzen sollen. Wann wirst du endlich lernen, dass ich immer recht habe?« Es entstand eine kurze Pause. »Sadie? Was ist denn wirklich los? Ist irgendwas passiert?«
»Nein! Es ist nur alles so anders. Mum fehlt mir so sehr.«
»Sadie, ist alles in Ordnung mit dir? Soll ich zu euch fliegen?«
»Nein! Mir geht’s gut. Uns geht es gut.« Sadie konnte Kindergeschrei aus dem Fernseher hören. »Wie läuft’s mit Jackie?« Jack und Jackie. Sie sind für einander gemacht.
»Gut. Großartig! In einem Monat machen wir zusammen eine Motivationsreise. Die hat sie für uns gebucht.«
»Eine was?«
»Motivationsreise. Wo man positives Denken lernt. Du weißt schon, wie in diesem Buch Das Geheimnis .«
»Das Geheimnis?« , wiederholte Sadie ungläubig. Hatte sie diesen Mann jemals wirklich gekannt?
Jack klang angespannt. »Na gut, es ist nicht wirklich meine Welt. Lauter Psycho-Scharlatane. Aber Jackie ist ein tolles Mädchen, und sie fährt total darauf ab. Stell dir vor, bei einer Visualisierung wurde der perfekte Seelenverwandte für sie entworfen, und dann hat sie mich getroffen, und ich entsprach exakt dieser Beschreibung.«
»Tatsächlich?« Sadie konnte sich nicht zurückhalten. »Und wie lautete die? Gesucht: Verheirateter Mann mit Tochter im Teenageralter. Leichter Bauchansatz und ergrauendes Haar.
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