Dornentöchter
irgendetwas Seltsames in der Luft, als hätte ein fremdes Wesen ihm einen Besuch abgestattet. Auf den ersten Blick war nichts verändert, und es fehlte auch nichts. Sadie hatte doch sicher nicht in ihren Sachen herumgeschnüffelt? Es war einfach nicht ihre Art, sich einzumischen, dafür schätzte sie ihre eigene Privatsphäre viel zu sehr.
Die Veränderungen waren kaum merklich: Die Art, wie die Tagesdecke auf ihrem Bett lag, ein Buch auf der Kommode wirkte etwas verschoben, und ein BH hing aus der Schublade. Außerdem lag ein leichter, unangenehmer Geruch in der Luft. Im Bad, das sie sich mit Sadie teilte, schienen sogar mehrere Dinge nicht an ihrem Platz zu liegen. Betty sah sich nervös um. War ein Einbrecher hier gewesen? Was, wenn er immer noch im Haus war? Sie wollte ihrer aufkeimenden Panik nicht nachgeben und ging zu dem großen Schrank hinüber, in dem sich ihre Kleidung befand, und spähte hinein. Nichts. Niemand. Sie kam sich zwar lächerlich dabei vor, doch sie wusste, sie würde sonst nicht schlafen können – oder wieder einen dieser verstörenden Träume haben wie in den letzten Nächten –, und sah unterm Bett nach. Auch da war nichts zu entdecken.
Daraufhin ging sie zum Fenster hinüber und blickte auf die dunkle Straße mit der einsamen Laterne hinab. Alles, was sie vom Ozean erkennen konnte, war lediglich ein breiterer schwarzer Streifen, aber sie hörte, wie sich die Wellen donnernd am Strand brachen. Zum ersten Mal, seit sie im Poet’s Cottage angekommen war, beschlich Betty ein Gefühl des Abgeschnittenseins von der Welt. Sadie und sie, zwei Frauen, an einer sehr ruhigen Straße, eingesperrt in einem Haus, das bereits gewaltsame Tode erlebt hatte und dessen steinerne Mauern so dick waren, dass sie alle Schreie dämpften. Im gesamten Bezirk gab es nur zwei Polizeibeamte. Ihre Mutter und sie wären eine leichte Beute. Betty überlegte, ob sie ihrer Mutter von den Alpträumen erzählen sollte, die sie in letzter Zeit gequält hatten, richtig gruselige Träume, in denen der Keller eine Rolle spielte. Außerdem hatte sie immer wieder das Gefühl, dass jemand neben ihrem Bett stand und ihr beim Schlafen zusah.
Boah, echt! Um sich von ihren Horrorphantasien abzulenken, schaltete Betty ihren Laptop ein. Sie freute sich, zwischen all den üblichen Spam-Mails auch eine Nachricht zu finden, dass Zowie auf ihrem Blog einen Kommentar hinterlassen hatte. Begierig las sie.
Hi Süße,
Du fehlst mir total. Über wen soll ich denn jetzt lachen? War ein Witz! Wie ist das Leben so im Kartoffelland? Klingt echt wie am Arsch der Welt! Haha. Ich hab mir mal diese Website angeschaut. Deine Uroma war voll der Knaller, oder? Keinerlei Familienähnlichkeit mit Dir. Grins.
Hier ist alles Scheiße. Sie haben Alison rausgeworfen, weil sie ein paar Fotos von sich auf Facebook gestellt hat, auf denen sie nicht viel anhat. Unfassbar, der totale Überwachungsstaat! Ein paar von uns waren im Red Door in Bondi. Total abgefahren. Brad Coulson war auch da. Er ist sooo sexy. Ich hab ihm erzählt, dass Du auf die Apfelinsel ausgewandert bist. Hab ihn ordentlich getröstet, wenn Du verstehst, was ich meine. Ich glaub, bei dem Typen ging schon echt lange nichts mehr. Warst Du nicht als Letzte mit ihm zusammen? Kleiner Scherz am Rande, Süße.
Hey, schau doch mal bei meinem Blog vorbei und hinterlass einen Kommentar. Ziemlich tote Hose hier bei Dir.
Küsschen, Ciao, ciao
Betty holte tief Luft. Brad und Zowie? Er hatte immer behauptet, er könnte sie nicht ausstehen mit ihren blondierten Haaren, den Designer-Handtaschen und ihrer sarkastischen Art. Ob das wohl stimmte? Und selbst wenn nicht, Brad hatte ihr jedenfalls nie gemailt oder eine SMS geschickt, wie er bei ihrer Abreise aus Sydney versprochen hatte. Sie löschte Zowies Mail. Blöde Kuh. Warum war Zowie immer so gemein zu ihr? Sadie hatte behauptet, es wäre pure Eifersucht, aber Sadie hielt Betty ja auch für das perfekteste Wesen auf Erden. Dabei war Zowie diejenige, die alles hatte. Sie plante gerade ihr Auslandsjahr in Florenz, und zu ihrem riesigen Freundeskreis gehörten Soap Stars und Bandmitglieder. Sie war bereits mit mehreren Jungs zusammen gewesen – und jetzt war auch noch Brad ihrem Charme erlegen. Wenn Sadie sie nur nicht in dieses verdammte Tasmanien verschleppt hätte! Wenn sie jetzt in Sydney wäre, dann wären sie bestimmt noch zusammen.
Ganz spontan öffnete sie ein neues E-Mail-Fenster und schrieb hastig:
Lieber Dad,
wie geht’s Dir? Du fehlst
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