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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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Als sie fortfuhr, klang ihre Stimme älter und tiefer. Man konnte leicht glauben, dass Wesen aus einer anderen Welt durch sie zu uns sprachen. Der Raum hatte sich irgendwie verändert, die Luft war von einem Prickeln durchsetzt, und das alltägliche Leben schien weit weg und unwirklich. Sogar Mrs Bydrenbaugh hatte ihre widerwillige Miene abgelegt.
    Nur Pearl wirkte unbeeindruckt. »Und wen trifft’s?«, fragte sie. »Sie können es ruhig ausspucken. Vermutlich mich, oder? In solchen Fällen muss immer die glamouröse Femme fatale dran glauben. Die braven, langweiligen Mädchen dagegen leben glücklich und zufrieden.« Unwillkürlich traf mich ihr Blick.
    »Um Himmels willen, hört auf!«, bettelte Violet.
    Doch zu spät. Jean sprach bereits weiter. »Zwei der Anwesenden … tot innerhalb von zwei Jahren. Die beiden, welche durch eine Liebe verbunden sind, die nicht sein darf. Die Feuer der Hölle greifen nach mehreren Gästen. Und einer unter uns hat Blut an den Händen. Blut, das ich bei meiner Ankunft sofort gesehen und gerochen habe. Die blutigen Hände werden dem Henker entkommen, aber nicht dem Zorn des Roten Drachen.«
    »Welche Erleichterung«, säuselte Pearl und drückte ihre Zigarette aus. »Es würde mich wirklich sehr belasten, wenn ein Mörder, mit dem ich befreundet bin, einfach so davonkäme.« Niemand von uns lachte mit ihr. Jean warf Pearl einen langen, intensiven Blick zu. Plötzlich verzog sich ihr Gesicht zu einem leichten Lächeln, als hätte ihr jemand etwas ins Ohr geflüstert. Daraufhin wickelte sie ihre Kristallkugel wieder ein, erhob sich und verließ den Raum in würdevollem Schweigen.
    »Was für eine Langweilerin!«, stöhnte Pearl, nachdem sie Jean hinausbegleitet hatte. »Zuerst macht sie der armen Violet Angst, und dann so etwas! Erzählt meinen Freunden, dass sie entweder sterben oder einen Mord begehen werden. Und, was noch viel schlimmer ist, habt ihr gesehen, dass sie einen Schnurrbart hatte? Man sollte doch meinen, dagegen ließe sich etwas unternehmen.«
    »Pearl, sei still. Du hast sie schließlich eingeladen. Ich habe dir gleich gesagt, das ist eine lausige Idee.« Es war das erste Mal, dass ich miterlebte, wie Maxwell sie öffentlich zurechtwies.
    Aber Pearl ließ sich davon nicht beeindrucken. »Und du bist auch ein Langweiler, Maxwell. Deine Vorstellung von einem schönen Abend ist, wenn ich zuhören muss, wie du mit Birdie in Erinnerungen an die guten alten Zeiten im Strampelhöschen schwelgst.«
    »Ich denke, wir gehen jetzt besser.« Ich erhob mich. »Victor? Kommst du mit?« Es versetzte mir einen Stich, als mir klarwurde, dass Victor mich gar nicht richtig gehört hatte. Er starrte Pearl mit einem unverhohlenen Ausdruck des Verlangens an.
    Du warst mein Begleiter. Du hast dich für mich interessiert.
    Mrs Bydrenbaugh nahm meine missliche Lage wahr, und ihre Augen funkelten vor boshaftem Vergnügen. In diesem Moment hasste ich sie – wegen ihres Geldes, ihrer Freude an dem doppelten Verrat an Maxwell und mir, und weil sie eine so hübsche, aber verwöhnte und rückgratlose Tochter hervorgebracht hatte.
    »Zeit zu gehen, mein Junge.« Maxwell übernahm die Führung, indem er sich an Victor wandte. Auch er hatte meinen Schmerz gespürt, meine Demütigung.
    Ich verabschiedete mich von den Anwesenden. Mrs Bydrenbaugh neigte den Kopf mit einem falschen Lächeln. »Ihre Perlen sind wirklich reizend«, sagte sie. »Und Ihr Kleid ist auch ganz bezaubernd. Ich wünschte, Violet würde so etwas tragen.« Violet ignorierte uns. Seit Jeans Prophezeiungen blickte sie ängstlich umher, als wollte sie erraten, wer die Opfer sein würden. Auch die Stephens-Jungs wollten trotz Pearls Protest aufbrechen, weil sie angeblich tags darauf früh mit den Booten raus mussten. Beide sahen sie mit demselben intensiven Verlangen an, das ich auch deutlich in Victors Miene lesen konnte. Alle anwesenden Männer verzehrten sich nach Pearl. Ich verachtete sie dafür, obwohl ich sie verstehen konnte. So betrunken und widerwärtig sie auch war, so war sie dennoch das Schönste, was ich je gesehen hatte.
    »Gute Nacht, ihr Turteltäubchen.« Sie lehnte sich an die Haustür, um sich von Victor und mir zu verabschieden. »Und keine Fummeleien unterwegs.«
    »Gute Nacht«, erwiderte ich kalt und schritt vor Victor den Pfad entlang.
    Der Regen hatte aufgehört, und wir marschierten im hellen Mondlicht nach Hause. Der Wind war allerdings noch nicht abgeflaut, und mein dunkelblauer Rock drohte, mir vom Sturm

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