Dornentöchter
gleiche verlegene Grinsen im Gesicht. Jack hatte außerdem einen Hut auf, als sei er Humphrey Bogart, während Jackie sich kunstvoll irgendeinen seidigen Stoff um ihr langes blondes Haar geschlungen hatte. Dazu trug sie ihre übliche Ladung kristallener Arm- und Halskettchen.
Als Jackie Sadie entdeckte, rannte sie auf sie zu und küsste sie auf beide Wangen, als sei sie eine lange verschollene Freundin und nicht die Frau, deren Mann sie gestohlen hatte. »Überraschung!«, kreischte sie. Einige neugierige Ortsbewohner blieben stehen, um zuzusehen.
»Und was für eine Überraschung! Was zum Teufel macht ihr zwei hier?« Sadie hoffte, ihr Tonfall klänge einladender, als sie sich fühlte. Eine Welle der Übelkeit packte sie. Wie konnte das sein? »Bist du gekommen, um Betty zu besuchen?«, wollte sie von Jack wissen.
Er zuckte mit den Schultern und warf Jackie einen Blick zu, die leicht verwirrt einen Schritt zurücktrat. Negative Schwingungen wurden von Jackies Bewusstsein nicht wahrgenommen.
»Sadie?« Ihre Stimme klang fragend. »Ich dachte, du würdest dich freuen, uns zu sehen. Maria hat gesagt, du bist im hiesigen Schönheitssalon, um dir die Haare für den Tanz richten zu lassen. Wir dachten, wir überraschen dich.« Sie klang wie eine Zweijährige. Dann erst bahnten sich ihre Worte den Weg in Sadies Hirn. Maria? Sie hatten Maria getroffen?
»Warum seid ihr mir hierher gefolgt?«, wollte sie wissen.
»Jetzt mach doch nicht gleich ein Drama draus«, erwiderte Jack. »Die Leute schauen schon komisch, Madame Verfolgungswahn. Betty hat mir vor etwa einer Woche geschrieben und mich gebeten, sie zurück nach Sydney zu holen.«
»Sie hat was? Sie hat dir geschrieben?« Die Welt schien aus den Angeln zu kippen. Sadie barg das Gesicht in den Händen, während ihr Atem immer hektischer ging. Wie konnte Betty sie so hintergehen? Log Jack? Aber Lügen waren nicht sein Stil. Zumindest nicht in Bezug auf Betty.
»Sadie, lass uns doch von der Straße weggehen. Können wir irgendwo einen Kaffee trinken? Gibt es hier Kaffee? Aber bitte nicht das Lokal mit dem Hummer auf dem Dach.« Er sah sich um, so fern der Großstadt hoffnungslos deplatziert.
Sadie schnappte nach Luft und zwang sich, tief durchzuatmen. Sie suchte nach einem passenden Ort und beschloss, die beiden mit ins Silver Starfish zu nehmen. Im Café saß Birdie Pinkerton und teilte sich mit einer anderen weißhaarigen Dame eine Kanne Tee. Sie nickte Sadie zu und musterte die Neuankömmlinge höchst neugierig.
»Was für ein göttliches Café! So retro!« Jackie betrachtete die Aushänge zur Ortsgeschichte an den Wänden. »Ich würde ja total gern in Bondi so was aufmachen.« Sadie wollte gerade eine sarkastische Bemerkung fallenlassen, doch sie biss sich auf die Zunge, als sie Jackies Miene sah und ihr klarwurde, dass Jackie es ernst meinte.
Sie bestellten sich etwas zu trinken, und Jack zeigte Sadie Bettys E-Mail. »Hab ich’s dir nicht gesagt?«, meinte er. »Ich hab dich gewarnt, dass es nicht fair ist, sie mit hierher zu schleppen. Du warst wegen Marguerite einfach nicht bei Sinnen. Sadie, ich mach mir selbst Vorwürfe. Ich hätte ein Machtwort sprechen sollen. Du hattest schon genug durchgemacht, als ich gegangen bin, und dann Marguerites Tod sechs Monate später. Du warst einfach nicht in der Verfassung, um eine solche Entscheidung für unsere Tochter zu treffen.« Er löffelte Zucker in seinen Kaffee. Jackie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Es geht ihm nicht gut, dachte Sadie. Jack hatte immer Verlangen nach Süßem, wenn ihn etwas bewegte. Gleichzeitig hätte sie am liebsten die Zuckerdose über seinem Kopf ausgekippt oder deren kompletten Inhalt selbst gegessen. Was hatte Betty hinter ihrem Rücken angestellt?
»Jack hat recht«, meldete sich jetzt Jackie zu Wort. »Dein Herz-Chakra ist völlig zerschlagen, Sadie. Du könntest nachher von mir eine Reiki-Behandlung bekommen, wenn du magst. Wenn wir die Blockaden auflösen, wirst du auch wieder klarer denken können. Dann kannst du das übersinnliche Band zwischen dir und Marguerite durchtrennen.«
Sadie sah Jack an. »Du hast ihr von Marguerite erzählt?« Es war ein weiterer Schlag, ein doppelter Verrat innerhalb von weniger als zwanzig Minuten.
Jack sah schuldbewusst drein. »Nicht wirklich«, erwiderte er. »Zumindest nicht die ganze Geschichte.« Er gab einen weiteren Löffel Zucker in seinen Kaffee, ehe Jackie ihm die Dose wegzog. Er hob abwehrend die Hand. »Nur noch ein paar Körnchen,
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