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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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zugeben. Die Verantwortung für einen anderen Menschen zu haben, für mehrere vielleicht. Kleine schutzlose, unschuldige Menschen. Nein, Veum, ich glaube, was ich jetzt sage, ist ehrlich gemeint: Ich hätte es niemals gewagt.«
    »Aber Peter …«, sagte ich vorsichtig.
    »Ja – Peter. Genau, Veum, ich vergaß, dass du ein Detektiv bist. Er war mein – eins-zwei-drei …« Sie zählte an den Fingern ab, »… vier-fünf-sechs …« Sie zählte stumm weiter. »Mein fünfzehnter oder sechzehnter Liebhaber, ungefähr. Ich bin mir nicht ganz sicher.« Sie lächelte plötzlich ein etwas schuldbewusstes Lächeln. »Da siehst du, wie dekadent ich geworden bin.«
    »Dekadent«, sagte ich. »Das Wort hat irgendwie Stil. Ungefähr wie degeneriert. Bevor man darüber nachdenkt, was es eigentlich bedeutet, meine ich.«
    Sie lächelte wieder, etwas lockerer jetzt. »Ich weiß nicht, wie viel Information du von mir verlangen kannst.«
    Ich hob ihr meine Handflächen entgegen, wie um zu sagen: Gar keine. Aber ich sagte es nicht.
    »Er kam hierher, um den Rasen zu mähen, wie ich es dir letztes Mal erzählt habe. Ich habe einen Flirt mit ihm angefangen. Das war nicht sonderlich schwer. Wir waren binnen weniger Stunden im Bett, aber wie gesagt – er war kein besonders toller Liebhaber. Er war halt jung.«
    »Er hatte das, was Brann zur Zeit nicht hat«, sagte ich.
    »Was? Ach ja.« Sie sah mich starr an. »Eigentlich – eigentlich habe ich nicht das Gefühl, Veum, dass dich das Ganze besonders interessiert.«
    Ich sagte: »Aber das tut es, Irene. Mein Problem dabei ist eigentlich – sagen wir technischer Natur. Das Problem ist, dass ich mich in gewisser Weise gar nicht dafür interessieren darf. Ich meine, es würde der Polizei nicht gefallen, dass ich mich in ihre Mordermittlungen einmische. Und vergiss nicht, eigentlich hatten wir mit etwas ganz anderem angefangen. Ich bin gekommen, um dich zu fragen …«
    »Ja, ich weiß noch, was du mich gefragt hast, Veum, du brauchst es nicht zu wiederholen.«
    Wir blieben eine Weile stumm und versuchten, zu der spontanen Vertraulichkeit zurückzufinden.
    Ich sagte: »Aber es ist also schon ein halbes Jahr her.«
    Sie nickte. »Ja. Er war nicht spannend genug für mehr als ein paar Vormittage. Und er war schließlich nicht der einzige Anwärter.«
    »Nein, das waren vierzehn, fünfzehn, wenn ich mich richtig erinnere?«
    »Ich glaube … Ich glaube wirklich, du solltest bald gehen, Veum.«
    »Okay. Ich wollte nur noch mal zurück zum Ausgangspunkt – ganz kurz. Weißt du eigentlich irgendwas über diese Geschäfte deines Mannes?«
    Sie betrachtete mich kalt. »Erwartest du wirklich eine Antwort? Wir sind verheiratet, und eine gewisse – Loyalität – sollte es dann wohl nach wie vor geben.«
    Ich sah sie an. Sie starrte zurück. Ihre Augen weiteten sich langsam, und ich konnte das Blut in ihrer Schlüsselbeingrube pochen, sehen.
    »Außerdem«, fügte sie hinzu, »habe ich mich nie sonderlich für seine Geschäfte interessiert.«
    Stille. Ich trank meine Tasse leer. Es klirrte, als ich sie auf die Untertasse stellte. Einige kleine, schwarze Teeblätter lagen noch auf ihrem Boden, und eines hatte sich an meine Oberlippe geklebt. Ich entfernte es, langsam, mit zwei Fingern.
    Dann stand ich auf. »Dann war’s das wohl. Herzlichen Dank – für den Tee.«
    Sie hatte etwas von ihrer anfänglichen Routine zurückgewonnen. Es war ein Hauch von Flirt in ihrem Blick, als sie sagte: »Oh, nichts zu danken. Und Veum …«
    »Ja?«
    »Wenn du auf die Idee kommen solltest … Mein Mann weiß von meinen Seitensprüngen. Sie sind ihm egal.«
    »Tja, dann.« Ich hob die Schultern und ging weiter auf den Ausgang zu. Oben auf der hellen Kieferntreppe drehte ich mich wieder zu ihr herum. Sie stand da und sah mir nach, am Rande ihres abgesenkten Salons. Das Licht von hinten rahmte sie in Pastellfarben ein, und ich sah die weichen, fraulichen Konturen ihres Körpers, das Licht, das durch ihr leichtes Haar fiel, ihre Hand, die auf der Hüfte ruhte. Ich sagte: »Hast du auch mit Karsten Edvardsen geschlafen?«
    Obwohl ihr Gesicht im Schatten lag, konnte ich sehen, dass sie rot wurde. Sogar gegen das grelle Licht sah ich, wie ihr Gesicht sich verzerrte, wie ihr Mund sich erschrocken öffnete, ihr Körper erstarrte und kantig und unschön wurde. Dann gewann sie ihre Fassung zurück. Ihr Gesicht wurde wieder weich – kalt wie Seide, und sie schien fast die Zähne zu fletschen, als sie die Oberlippe zurückzog

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