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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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versuchte, tiefsinnig auszusehen. »Ich dachte, ich sollte Sie zu einem Vormittagstee einladen …«
    »Und wo?« Ich hatte ihre Augen beim letzten Mal nicht richtig gesehen. Die Farbe wechselte zwischen Blau und Grün mit kleinen goldbraunen Körnern darin. Sie glänzten neckend und kühl und erinnerten an diese säuerlichen Drinks, die so gut tun, wenn es heiß ist.
    Ich ließ meinen Blick an ihr vorbei ins Haus schweifen. Dann sagte ich gedehnt: »Tja …«
    Sie stieß ein kurzes Lachen aus. Dann trat sie zur Seite und ließ mich eintreten. »Der Teesalon ist im ersten Stock«, sagte sie, als ich an ihr vorbeiging.
    Wir gingen durch eine dunkle, mit Teppichboden ausgelegte Halle, dann eine helle Kiefernholztreppe hinauf und kamen in den Raum, den sie den Teesalon nannte. Vielleicht war es auch ihr Mädchenzimmer. In solchen Kreisen konnte man nie wissen.
    Der Raum war so groß wie meine gesamte Wohnung. Vier große, quadratische Fenster ließen das Tageslicht herein. Die Fenster waren in den Ecken angebracht, zwei nach Süden und zwei nach Westen. Vor den Fenstern war der Boden abgesenkt und dort unten schien sich eine Art Salon zu befinden. In der Mitte stand ein braunschwarzer Tisch und außen herum Couches. Sowohl auf dem Boden als auch auf den Couches lagen Schaffelle. Ein netter Ort, um seinen Vormittagstee zu genießen. Vor den Fenstern umrahmten hohe, grellgrüne Baumkronen die Aussicht über ein paar rote und schwarze Dächer auf die silbern schimmernde Oberfläche des Nordåsvanns, wo die Villa Gamlehaugen sich im Wasser spiegelte.
    An den Wänden hing teure Kunst mit vielen Farbschichten. Die Bilder sahen aus, als seien sie von farbenfreudigen Termiten erbaut und waren wahrscheinlich auf dem Markt mehr wert als unter Leuten, die wirklich etwas von Kunst verstanden. Es war im Grunde ein asketisch eingerichteter Raum. Abgesehen von dem abgesenkten Salon und den schweren Gemälden enthielt er kaum Wertvolles, abgesehen von einer chinesischen Porzellanvase aus irgendeiner Ming-Dynastie (wenn sie nicht aus den 60er Jahren und ›made in Hongkong‹ war), einer ägyptischen Totenmaske auf einem ebenholzschwarzen Sockel (hergestellt von einem New Yorker Künstler Anfang der Siebzigerjahre?), einem vierzig, fünfzig Zentimeter langen Goldalligator in der hintersten, dunkelsten Ecke (damit man das Plastik nicht durchschimmern sah) und einer Beleuchtungsanlage an der Decke, die wahrscheinlich in einer Stunde mehr Strom verbrauchte als alle meine Glühbirnen im Laufe eines Jahres.
    Irene Jonassen stand abwartend neben mir.
    Ich sagte: »Eine wundervolle … Aussicht.«
    Sie antwortete: »Nicht schlecht, ja. Wie möchten Sie Ihren Tee, Veum?«
    »Heiß.«
    »Zucker?«
    »Nein, danke.«
    »Zitrone?«
    »Gern.«
    »Wir können uns da runter setzen.« Sie nickte in Richtung Salon.
    Ich sagte: »Danke, ich habe schon gebadet.«
    Sie lächelte säuerlich. »Versuchen Sie es. Es könnte den Versuch wert sein.« Dann drehte sie sich um und verschwand durch eine Tür, die dieselbe Farbe hatte wie der Salontisch. Ich stand da und sah ihrem Rücken nach.
    Es war ein schöner Rücken. Ihr braunes Kleid saß eng und war aus einem weichen, fließenden Baumwollstoff. Der vordere Ausschnitt war nicht ganz so unbescheiden wie der hintere, aber dafür trug sie nichts darunter. Ich tapste vorsichtig abwärts in ihren schwarz-weißen Salon. Sie schien sich eindeutig zu langweilen. Sie schien Abwechslung zu brauchen. Das machte mich nervöser als gut für mich war. Ich habe es nie gelernt, den Augenblick zu genießen. Die Tür ist immer schon zu, wenn ich endlich ankomme. Wenn ich schließlich gesagt habe, was ich will, sind alle Gäste gegangen, und ich stehe da und sehe mich im Spiegel an.
    Sie kam überraschend schnell zurück. Der Tee befand sich in einer dieser zierlichen Silberkannen, die aussehen wie konfisziertes Kirchengut, und sie goss ihn in zwei bauchige, runde Tassen aus dünnem, weißem Porzellan mit einer olivgrünen Zickzack-Borte um die Mitte. Sie sahen fast indianisch aus. Aber ich bin niemals so dumm, solche Dinge zu kommentieren. Entweder man bekommt einen halbstündigen Vortrag zu hören über etwas, für das man sich noch nie interessiert hat, oder die Leute glauben, dass man normalerweise nicht aus so etwas trank.
    Sie kam zu mir herab in die Grube und setzte sich neben mich. Dann zog sie die Beine unter sich, strich ihr Kleid über den Knien glatt und lehnte sich leicht in meine Richtung. Ihr einer Arm lag auf

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