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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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eigenes.«
    Ihre Hände steckten in hellen, grauen Handschuhen. Jetzt zog sie sie aus. Der einzige Ring, den sie trug, war ihr Ehering. »Sind Sie verheiratet, Veum?«
    Warum stellten mir die Leute immer diese Frage, bevor sie anfingen, über ihre eigene Ehe zu sprechen? Ich sollte mir eine Visitenkarte drucken lassen, die ich den Leuten sofort geben konnte, wenn sie mich aufsuchten, und auf der stand: Varg Veum. Nein, ich bin nicht verheiratet, aber ich war es. Ich bin geschieden, aber immer noch frohen Mutes. Oder so ähnlich. Ich sagte: »Nein, zur Zeit nicht. Aber ich war es einmal.«
    »Ich – verstehe.« Sie – verstand. Das war sehr hilfreich. Vielleicht sollte ich mich bedanken.
    Sie fuhr fort: »Es gibt so viele solcher Ehen, nicht wahr? Keine ist wie die andere. Manche von uns halten durch – andere … nicht.« Mit dem letzten Wort fiel ihr Blick schwer auf mein Gesicht. Es klang wie ein Vorwurf. »Wenn es in der Ehe Kinder gibt, dann versucht man, auszuhalten. Und es gibt ja – Kompensationsmöglichkeiten.«
    Kompensationsmöglichkeiten. Das war ein langes Wort. Und es war kein zufälliges Wort. Es war ein Wort, über das sie lange nachgedacht hatte. Ich fragte mich, wo sie ihr Manuskript hatte.
    Sie fuhr fort. »Ich meine … Na ja, Sie verstehen sicher, was ich meine, Veum.«
    Ich sagte: »Kompensationsmöglichkeiten. Ja, doch. Ohne im Wörterbuch nachzuschlagen, glaube ich trotzdem, dass ich mir denken kann – so ungefähr –, was Sie meinen.«
    »Genau.« Sie spielte mit dem Verschluss ihrer Handtasche. Vielleicht hatte sie es dort – das Manuskript. Sie sah aus, als würde sie zögern, als sei sie unsicher, ob sie fortfahren sollte, oder als ob sie sich nicht genau an den Text erinnerte.
    Dann sagte sie: »Deshalb wollte ich nur erklären … Aber – das hier bleibt unter uns, ja, Veum? Es muss unter uns bleiben. Ich – ich muss es jemandem erzählen. Ich will, dass Sie beurteilen, ob es eine Bedeutung hat für – diese Sache. Aber ich will damit nicht zur Polizei gehen. Nicht direkt. Nicht ohne dass es unbedingt notwendig ist. Aber das können Sie sicher beurteilen, Veum, oder nicht?«
    Ich sagte: »Wenn es nicht allzu kompliziert ist – juristisch, meine ich –, dann sollte ich das wohl können. Aber – tja. Ich werde niemandem ein Wort sagen, es sei denn, Sie bitten mich darum. Aber eines muss ich dennoch sagen: Sie sollten zur Polizei gehen – geradewegs –, ohne mir vorher auch nur das Geringste zu erzählen.«
    »Das ist mir zu offiziell. Das kann ich nicht, Veum. Es ist – Håkon darf es nicht erfahren. Nur wenn … Wie gesagt: wenn es unbedingt notwendig ist – um herauszufinden – wer Peter …«
    Ihre Augen wurden plötzlich noch glasiger, und sie holte das kleine Taschentuch wieder hervor, um sich die Augenwinkel zu tupfen. »Entschuldigen Sie …«
    Dann klingelte das Telefon. Ich nahm ab. Es war Haugland. Ich sagte: »Ich bin im Augenblick gerade beschäftigt. Kann ich zurückrufen?«
    »Okay …« Er zögerte etwas. »Hast du was rausgefunden?«
    »Ich rufe zurück.«
    Wir legten gleichzeitig auf. Vera Werner rollte ihr Taschentuch zu einem kleinen Ball zusammen. Sie sah mich düster durch den dunklen Schleier an, der ihre Stirn, die Augen und den oberen Teil ihrer Nase bedeckte. Dann sagte sie kurz und knapp, wie solche Dinge manchmal gesagt werden: »Ich hatte damals ein Verhältnis mit Niels Halle. Es kann gut sein … dass Peter und Lisa – Geschwister – sind – waren. Halbgeschwister.«
    Draußen auf dem Fjord brummte ein Schiff vorbei. Direkt unter uns stand ein hitziger Fahrer auf der Hupe. In meinem Büro war es still. Wir atmeten nicht einmal, sondern saßen nur da, wie ausgestellte Wachspuppen in einem Glaskabinett.
    In ihrem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle, Angst, Verwirrung, Scham – und etwas anderes, Unklares, das aufgetaucht war, als sie seinen Namen sagte. Eine Form von Zärtlichkeit, verdrängt und verjährt vielleicht, aber dennoch spürbar.
    Ich brach zaghaft die Stille. »Aber ich habe es so verstanden, dass Sie einmal verlobt waren, und dass es aus war – lange bevor …«
    Sie nickte. »Das ist richtig. Wir waren verlobt, aber wir – tja, es hat nicht gehalten, damals. Und es hielt auch später nicht, aber da war schließlich alles ganz anders, wissen Sie.«
    »Tja.«
    »Wir waren zu jung, nehme ich an, damals. Aber später, als wir uns wiedertrafen, da lebten wir beide in einer mehr oder weniger guten Ehe – und

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