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Dornröschengift

Dornröschengift

Titel: Dornröschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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ihn um Rat fragen . Aber Mike war nicht hier . Nur Tom ! Und von ihm würde ich garantiert keine Antworten bekommen .
    Oder doch ? Entschlossen stand ich auf . Vermutungen, Spekulationen, Verdächtigungen – davon hatt e ich die Nase voll . Es wurde endlich Zeit, die richtigen Fragen zu stellen .

Ein gebrochener Eid
    L eise klopfte ich an Toms Tür und lauschte . Nichts war zu hören . Ich klopfte erneut. Diesmal energischer . Als wieder keine Antwort kam, öffnete ich entschlossen die Tür . Das Zimmer meines Bruders hatte immer nach Mike gerochen , einer Mischung aus Adidas und Kaugummi. Jetzt hing ein mod riger Geruch über dem Raum, der mich an das Moor nach eine m starken Regen erinnerte . Mikes persönliche Sachen waren endgültig verschwunden. Da s große Poster von Australien zum Beispiel über dem Bett, de r Stapel Taucherzeitschriften auf dem Fußboden, die ungewa schenen Sportklamotten über dem Stuhl . Überhaupt sein Chaos. Es hatte immer wieder Anlass zu Diskus sionen mit meiner Mutter gegeben . »Mam«, hatte er gegrinst. »Es ist mein Zimmer und mein Chaos . Ich falle doch auch nicht in euer Schlafzimmer ein und zähl e auf, was dort herumliegt. « Tom dagegen war ordentlich. Das Bett war sorgfältig gemacht . Seine Turnschuhe standen akkurat neben der Tür. Auf de m Schreibtisch lag nichts herum. Nur Mikes Laptop stand genau i n der Mitte . Von Tom selbst war nichts zu sehen . Jamaica kam mir erneut in den Sinn, die hier herumgeschnüffel t hatte. Bildete ich es mir ein oder hatte sie tatsächlich versucht , etwas vor mir zu verbergen? Und hatte sie mich nicht kurz da nach gefragt: »Was weißt du über Tom? «
    Nichts ! Ich wusste nichts über Tom . Zögernd machte ich einen Schritt nach vorne . Tom oder meine Mutter – einer von ihnen hatte Mikes Sache n weggepackt, um Platz für Toms Besitz zu schaffen. Ich öffnet e die Tür des Schreibtisches. Ganz vorne lag sein Pass. Ich nah m ihn kurz in die Hand. Das Foto war nicht neu. Er sah völlig an ders aus. Nicht nur die Frisur, auch die Farbe seiner Haare. Jetz t war er blond, doch die Aufnahme zeigte ihn mit braunem, radi kal gekürztem Haar . Ich wurde mutiger: ein Stadtplan von Rostock, ein Stapel Pros pekte über unsere Gegend und dann zog ich einen großen Bild band über Schlösser und Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpom mern hervor . Unschlüssig blätterte ich darin herum, bis ich auf die Idee kam , nach unserem Haus zu suchen. Ich fand es auf Seite 218: Kra nichstein, Gutshaus, erbaut im 14. Jahrhundert; bis 1850 Eigen tum der Familie Rosenthal; 1850 Verkauf an Familie Fischer . Als ich das Buch zuklappen wollte, fielen einige Blätter herau s und segelten langsam zu Boden . Kopien . Neugierig hob ich sie auf . Abstammungsurkunde, las ich . Vage erinnerte ich mich, dass Toms Vorfahren aus Deutschlan d kamen. Sogar aus unserer Gegend, Mike hatte etwas darübe r geschrieben. Vielleicht war er hier, um – wie hieß das noch – Ahnenforschung zu betreiben . Doch ich traute meinen Augen nicht, als ich die Kopie näher be trachtete. Nicht Toms Name stand auf dem Blatt, sondern ei n anderer: Michael Voss . Mutter: Caroline Voss . Vater: Jens Voss .
    Geburtsort: Hamburg. Ungläubig starrte ich auf das Datum der Geburt: 13. Juni 1989. Das war Mikes Geburtstag. Ich verstand es erst nicht. Oder besser, ich kapierte es sofort, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ein Gefühl von Kälte breitete sich in mir aus. Es war, als ob je mand eine kalte Flüssigkeit in mir ausgoss. Zumindest fühlte sich das Blut in meinen Adern eisig an. Diese Urkunde konnte nur eines bedeuten: Mike war Michael und Michael war Mike. Seine Eltern waren nicht meine Eltern, also war er nicht mein Bruder. Die Urkunde in der Hand, setzte ich mich aufs Bett und starrte in die Luft. Es war naiv, aber bis jetzt hatte ich mir immer noch eingebildet, die Welt an sich sei erklärbar. Wenn ich mich nur anstrengte, Physik, Chemie oder Biologie zu verstehen, würden die meisten Fragen beantwortet: Woher kommen wir, wohin gehen wir und so weiter. Nun aber fand ich für die dringendsten Fragen keine Lösung und kein Lehrer auf dieser Welt konnte sie mir beantworten. Ich spürte, ich war an eine Grenze gekommen. Alles Schwere, Dunkle, Geheimnisvolle, das mich die letzten Monate, Wochen und Tage beunruhigt hatte, sollte aufhören, einfach nur aufhö ren. Mit Tom zu reden, konnte ich vergessen. Wie sollte ich ihm vertrauen? Er hatte die ganze Zeit von dieser Sache gewusst und nichts darüber

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