Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
Vom Netzwerk:
unaufhaltsam ihren Weg an die Oberfläche, bis sie schmerzvoll in die oberen Schichten des Bewußtseins drangen.
    So sehr sich die Person auch dagegen wehrte – das Gefühl blieb hartnäckig, saugte sich wie ein Blutegel in ihren Gedanken fest. Der Mund in dem starren Gesicht öffnete sich wie zu einem Schrei, aber kein Laut drang aus der trockenen Kehle. Seit ewigen Zeiten schon marterte ein Dämon den Körper, der ihn behauste, und machte ihn zu seinem Opfer.
    Die Person spürte die Zurückweisung und Verachtung, Gefährten ihrer frühen Jahre, so deutlich, als wehte ihr eisiger Atem durch den Raum. Das Würgen in der Kehle wurde stärker, und Tränen trübten die reglosen Pupillen. Sie waren Ausdruck ohnmächtigen Zorns – über das schwache Ich, das es der Vergangenheit ermöglicht hatte, über Jahre hinweg diese Verwüstung anzurichten.
    Wie unter Zwang griff die Hand nach dem schweren Aschenbecher und schleuderte ihn gegen das verhaßte Spiegelbild. Der Riß im Kristall klaffte wie eine offene Wunde. Doch scheinbar ungerührt hob die Person den Deckel einer Schachtel und löste aus knisterndem Seidenpapier einen Kranz aus dunkelroten Rosen. Mit einer einzigen Bewegung drückte sie sich die Krone tief in die Kopfhaut, und die Stacheln bohrten sich fest in das Fleisch. Klebrig rann das Blut über die Augenbrauen auf die fahlen Wangen hinab, wo es sich mit einer endlosen Spur von Tränen mischte.

7
    Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose …
    GERTRUDE STEIN
     
    Den Weg zu ihrem Büro erklomm Mandy neuerdings zu Fuß. Die sieben Stockwerke gehörten zu ihrem selbstverordneten Trainingsprogramm. Am frühen Morgen war sie schon im Dauerlauf durch den Englischen Garten gespurtet. Denn wie – hatte sie sich morgens vor dem Spiegel gefragt – sollte sich ihr Dasein verändern, wenn sich der Wandel ausschließlich auf ihren Haushalt bezog? Gar nicht, hatte der Spiegel geantwortet und ungnädig auf die beginnende Cellulitis hingewiesen.
    Mandy gehörte zwar nicht zu jenen Frauen, die, kaum daß sie einen Kerl am Haken hatten, Lippenstift und Lockenstab ignorierten, aber die kleinen Dellen auf ihren Oberschenkeln erinnerten sie daran, daß sie ihre freien Stunden mit fortschreitender Beziehung am liebsten auf der heimischen Couch vor dem Fernseher verbracht hatte. Vorzugsweise mit Edward neben und einer Schachtel Pralinen vor sich. Liebe machte eben träge und gefräßig.
    Im Treppenhaus mußte sie zweimal anhalten, weil ihr die Puste ausgegangen war. Grundgütiger, waren es wirklich so viele Pralinen gewesen? Keuchend bog sie um die Ecke des langgestreckten Korridors und stutzte. Vor ihrer Bürotür lag ein längliches Paket. Eilig riß sie den Umschlag der beiliegenden Karte auf:
    »Was zagst du …«
    Keine Unterschrift. Sehr dramatisch. Die Schrift ähnelte keiner, die sie kannte. Die Buchstaben waren krakelig, mit unregelmäßigen Abständen. Edward schrieb sehr klar, mit einer leichten Linksneigung. Von ihm konnte die Karte keinesfalls stammen.
    Unter dem Papier kam eine durchsichtige Zellophanschachtel zum Vorschein. Ihr Herz stockte, als sie ihren Inhalt sah: eine langstielige dunkelrote Rose.
     
    Eine Stunde später stand Mandy vor Richard Grassers Haus in Schwabing. Sie drückte auf die Klingel an der Gartenpforte, und ein leiser Summton erklang. Der Arzt erwartete sie schon. Seine enorme Gestalt füllte den Türrahmen aus, und um seine Füße wieselte ein kleiner grauer Pudel, der Mandy ausgelassen begrüßte.
    »Platz, Mephisto«, rief Grasser mit dröhnender Stimme und streckte ihr jovial die Hand entgegen. »Sie sind sicherlich Frau Maltzan. Kommen’S nur rein.«
    Mandy trat ein und sah sich in dem geräumigen Altbau um. Im Erdgeschoß gab es nur Praxisräume. Eine Treppe führte in die obere Etage, wo vermutlich die Wohnräume lagen. Grasser führte sie durch einen langen, kahlen Flur in sein Sprechzimmer. Er trabte, die sperrige Last seines Körpers tragend, plump dahin wie ein schwerfälliges Pferd, und das Parkett knarzte unter seinem Gewicht.
    »Bin ich denn die einzige Patientin?« fragte Mandy, die sich wunderte, daß außer ihr niemand zu sehen war. Nicht einmal eine Sprechstundenhilfe.
    »Meine Praxisräume werden wenig genutzt«, erklärte er. »Ich betreue nur noch ein paar Stammpatienten. Hauptsächlich widme ich mich jetzt der Schauspielerei.«
    »Ach«, sagte Mandy. »Sie sind Schauspieler? Ich dachte, Sie wären Arzt.«
    In seinen Augen blitzte es belustigt. »Bin ich auch. Aber nur in

Weitere Kostenlose Bücher