Dornroeschenmord
sprach weiter, und allmählich bemerkte Mandy, daß sie Frederick gehörte und vom Anrufbeantworter kam. Verschlafen hangelte sie nach dem Telefon neben ihrem Bett. »Hm«, murmelte sie heiser in den Hörer.
»Schläfst du noch? Es ist schon nach zehn. Ich dachte, ich komme zum Frühstück vorbei. In fünfzehn Minuten bin ich bei dir, bis dahin kannst du ja den Tisch decken.«
Mandy räusperte sich vernehmlich: »Ähm, Frederick … ich glaube, ich habe vergessen, dir zu sagen, daß ich nicht auf solche Überfälle am frühen Morgen stehe. Sagen wir, in einer Stunde? Du könntest in der Zwischenzeit etwas einkaufen. In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere.«
»Oh, hat die kleine Hausfrau wieder versagt?« Doch bevor Mandy etwas entgegnen konnte, fuhr Frederick fröhlich fort: »Diesmal sehe ich es dir noch nach. Wir Männer sind ja emanzipiert. Also, dann bis gleich.«
Frederick war auf die Minute pünktlich. Sein weißes Hemd stand am Kragen offen, und er duftete wie immer nach einem kühlen Wässerchen. Bei seinem Anblick dachte Mandy sofort an ein herzhaftes Sandwich, und unwillkürlich wanderte ihr Blick zu seinen Händen, wo sie eine prall gefüllte Einkaufstasche erwartete. Aber seine Hände waren leer. Bestimmt war die Tüte so schwer, daß er sie nicht alleine tragen konnte.
»Soll ich mit hinunterkommen und dir tragen helfen?«
»Nein, nicht nötig«, schmetterte Frederick und küßte sie unbekümmert. »Ich wollte erst mal abwarten, ob du in der Zwischenzeit nicht doch einkaufen warst.«
Was sollte sie darauf antworten?
»Na schön, da habe ich wohl vergeblich gehofft«, meinte Frederick, und sein Lächeln war genauso sorglos wie vorher. »Dann gehe ich mal los.«
Im Wohnzimmer kuschelte sich Mandy in eine Ecke ihrer Couch und geriet ins Grübeln. Fredericks Auftritt hatte sie verunsichert. War auch er nicht das, was er zu sein schien? Mandy hoffte inständig, daß sie sich täuschte und Frederick weiterhin der Traummann blieb, nach dem sie sich so gesehnt hatte.
Als er nach einer halben Stunde zurückkam, atmete sie insgeheim auf. Neben zwei vollen Einkaufstüten präsentierte er, sozusagen als Zuckerstückchen obenauf, eine Einladung zur Filmpremiere der neuesten Buchinger-Produktion: »Der Schampus«, unter der Regie von Eike Cordmann.
»Was soll ich denn da anziehen?« fragte Mandy ihre beste Freundin. Eigentlich hatte sie Dorothee in ihrer Praxis aufgesucht, um sie zu bitten, sie bei der Recherche nach Richard Grassers Klinikaufenthalt zu unterstützen, aber sie konnte es sich nicht verkneifen, ihr vorher von Fredericks Einladung vorzuschwärmen.
Auf ihre Frage nach der passenden Garderobe hatte die modebewußte Dorothee natürlich sofort eine Antwort parat: Dolce & Gabbana! Sonst nichts. Schließlich waren die jetzt auch in Hollywood sehr gefragt.
»Dorothee, manchmal singe und tanze ich in meiner Unterwäsche durch die Küche, aber deswegen bin ich noch lange nicht Madonna. Und obendrein wiege ich achtundsechzig Kilo«, erwiderte Mandy lakonisch. »Ich geh zu Beck.«
»Na schön, aber die Haare macht dir auf jeden Fall Philip.«
»Philip?« frage Mandy.
»Ja, Philip«, sagte Dorothee und zupfte skeptisch an einer von Mandys wilden Locken. »Der schwarze Gott im Salon von Gerhard Meir. Und so wie ich das sehe, hast du ihn bitter nötig.«
Mandy sah Dorothee irritiert an und brachte schließlich den eigentlichen Anlaß ihres Besuches zur Sprache. Dorothee sollte sich in der Murnauer Unfallklinik erkundigen, ob Grasser dort jemals wegen einer Querschnittslähmung behandelt worden war. Noch wichtiger war Mandy allerdings, den Grund für seine Aufenthalte in der Psychiatrischen Klinik Gabersee zu erfahren. Dorothee als Ärztin würde man die Auskunft erteilen, die bei Privatpersonen unter die Schweigepflicht fielen.
Ganz wohl war Dorothee dabei nicht. Aber schließlich gab sie nach. Sie wußte genau: Wenn sie es nicht tat, würde Mandy einen anderen Weg finden – einen Weg, der das Unheil vielleicht erst recht heraufbeschwören würde. Und das konnte Dorothee sich nicht erlauben.
Als Mandy die Praxis verließ, merkte sie nicht, daß ihr jemand folgte. Während Doris Day ihr »People will say we’re in love« durchs Auto trällerte, herrschte in einem der Wagen hinter ihr eine beklemmende Düsternis. Für einige Tage hatte er stillgehalten, aber jetzt war der Dämon wieder da, und nichts brachte seine Schreie zum Schweigen.
Mit einem Arm voller Kleider –
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