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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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schlug er eine Akte auf und stellte fest, daß einige seiner handschriftlichen Aufzeichnungen verschwunden waren.
     
    Als Mandy in ihr Büro kam, hatte Dorothee die Ergebnisse ihrer Recherche schon per Fax übermittelt. Grasser war zu keinem Zeitpunkt wegen einer Querschnittslähmung in Murnau behandelt worden. In der Klinik gab es keinen einzigen Vermerk, daß er dort überhaupt je Patient gewesen war.
    Ausführlicher war das Resultat des Gesprächs mit der Psychiatrie Gabersee. Grasser litt an einer Störung, die sich »Pseudologia phantastica« nannte, und galt als hochgradig depressiv. Patienten wie er konnten ein durchaus normales Leben führen und sogar einer geregelten Arbeit nachgehen, mußten aber kontinuierlich behandelt werden.
    Der Ursprung dieser Störung liegt meistens in einem unterentwickelten Selbstwertgefühl, erfuhr Mandy. Mit erfundenen Geschichten, in denen sich der Patient zum heldenhaften Mittelpunkt stilisiert, versucht er sich und seine Umwelt von seinen unbegrenzten Fähigkeiten zu überzeugen. Schließlich beginnt der Patient an die eigenen Lügen zu glauben und kann zwischen realer und Scheinwelt nicht mehr unterscheiden.
    Sein Verhalten dient dazu, die Angst vor dem eigenen Versagen einzudämmen. Je großartiger die geschilderten Ereignisse, desto größer ist nach Auffassung des Patienten auch die Anerkennung seiner Mitmenschen. Die Krankheit basiert letztendlich darauf, daß diese Menschen in einer entscheidenden Phase ihres Lebens, meistens in der frühen Kindheit, stark vernachlässigt worden waren.
    Es folgte eine Passage, die Dorothee auf dem Fax dick unterstrichen hatte. Grassers Arzt riet dringend davon ab, den Patienten jemals mit seinen Lügen zu konfrontieren, denn dieser könne die dadurch hervorgerufenen Aggressionen gegen sich selbst, aber auch gegen andere richten. Die Ausmaße einer solchen Demaskierung seien als verheerend zu bewerten.
    Als Anlage hatte Dorothee die Daten von Grassers Aufenthalten in Gabersee beigefügt. Vielfach stimmten sie exakt mit den angeblichen Theaterengagements überein.
     
    »Also, mehr wissen wir noch nicht, aber ich halte dich auf dem laufenden.« Hauptkommissar Jürgen Schwan schlüpfte in seinen Parka und klopfte Christoph Kempf, der mit seinen Gedanken schon weit weg war, zum Abschied jovial auf die Schulter.
    Christoph Kempf war besorgt. Was er während des Mittagessens von Schwan über die Dornröschenmorde erfahren hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Im allgemeinen sah er sich als rationalen Wissenschaftler und pfiff auf Vorahnungen und unerklärbare Gefühle. Vor ein paar Tagen noch hatte er Mandys Vermutungen belächelt und mit einem Achselzucken abgetan. Aber nach dem, was er jetzt wußte, spürte er instinktiv die Gefahr, die sie umgab.
    Obwohl Christoph ahnte, daß er Mandy nur schwer davon würde überzeugen können, ihren Auftrag abzugeben, wollte er nichts unversucht lassen. Wenn es ihm überhaupt gelingen sollte, dann nur mit Dorothees Hilfe. Wieviel er ihr von den Ermittlungen der Polizei erzählen sollte, war ihm allerdings noch nicht klar. Doch wenn er sie nicht einweihte, wie sollte sie ihm dann helfen?
    Im Gegensatz zu seinen üblichen Gewohnheiten schloß er pünktlich sein Büro ab und eilte zu seinem Wagen. Unterwegs fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, Dorothee seinen Besuch anzukündigen. Er kannte sie noch aus der Studienzeit und konnte sich gut daran erinnern, daß sie Überfälle dieser Art nicht schätzte.
    Seine Vorahnung hatte ihn nicht getrogen: Als Dorothee ihm wenig später die Tür öffnete, fühlte er sich so willkommen wie Mick Jagger im »Musikantenstadl«.
    »Störe ich?« fragte er und räusperte sich.
    Dorothee gab nur einen Brummlaut von sich und wies ihm den Weg ins Wohnzimmer.
    Christoph setzte sich linkisch in einen Sessel. Er haßte sich zutiefst dafür, daß er sich immer noch so leicht verunsichern ließ. Während er noch darüber nachdachte, wie er das Gespräch gleich auf den Punkt bringen sollte, räumte sie den Tisch auf und schob ein paar Papiere unter das Bücherregal. Das Eilige und Heimlichtuerische ihrer Gesten weckte seine Neugier. Dorothee benahm sich, als hätte er sie auf frischer Tat ertappt.
    Das Gespräch kam nur zäh in Gang, doch schon bald war Dorothees Besorgnis mindestens ebenso groß wie seine eigene. Sie mußten etwas unternehmen, darin waren sie sich einig.
    Dorothee ging in die Küche, wo Christoph sie mit Gläsern und Flaschen hantieren hörte. Ihre Launen hatten ihn

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