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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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grellblauen Schrift Grassers Leitsatz: »Träume brauchen Wirklichkeit …«
    Im selben Augenblick drang aus einem der Nachbarzimmer ein dröhnendes, dumpfes Ächzen. Das Blut gefror ihr in den Adern. In ihren Ohren rauschte es, und ihr Pulsschlag stand hörbar im Raum. Raus hier, war ihr erster Gedanke, aber die Füße gehorchten ihr nicht, sondern klebten wie festzementiert am Boden.
    Minutenlang verharrte Mandy in ihrer Position, doch das gespenstische Geräusch kehrte nicht wieder. Mit zitternden Knien schlich sie durch den Flur, während ihr der Schweiß über den Rücken lief. An der Tür zu einem der Behandlungszimmer blieb sie stehen.
    Da sah sie es: Neben einem schweren Medikamentenschrank klaffte wie ein weitaufgerissener Rachen ein riesiges, schwarzes Loch in der Wand. Durch die Tastenkombination auf dem Computer wurde offenbar ein Mechanismus ausgelöst, der den Schrank zur Seite schob und eine geheime Öffnung freigab. Wie hypnotisiert ging Mandy darauf zu. Eine abgetretene graue Steintreppe führte durch einen schmalen Schacht nach unten. Vorsichtig, im Schein ihrer Taschenlampe, tastete sie sich die Stufen hinab.
    Ein schaler und abgestandener Geruch schlug ihr entgegen, als sie mit der Hand über die kalkgetünchte Wand fuhr, bis sie schließlich einen abgegriffenen Drehschalter unter ihren Fingern spürte. Vom grellen Licht geblendet, hielt sie sich instinktiv die Hand vor die Augen. Langsam gewöhnte sie sich an den gleißenden Schein. Als Mandy die Gestalt sah, die ihr aus bleichem Gesicht entgegenstarrte, stockte ihr der Atem. Es dauerte Sekunden, bis sie begriff, daß sie ihrem eigenen Spiegelbild gegenüberstand.
    Erst nach einer Weile ließ das Dröhnen in ihrem Kopf nach, und die verzerrten Eindrücke formten sich zu einem klaren Bild. Das Zimmer ähnelte einer Künstlergarderobe, wie man sie aus alten Theatern kennt. In der Mitte dominierte der überdimensionale Spiegel, in dessen Rahmen seitlich Autogrammkarten steckten. Jede zeigte Grasser in einer anderen Rolle. Er grinste feist und listig als Falstaff, verkörperte als Heinrich VIII. derbe Sinnlichkeit, und die Verschlagenheit, die er als Richard III. zum Ausdruck brachte, wirkte mehr echt als gespielt.
    Das also war Grassers Geheimnis: ein Mausoleum, vollgestopft mit Illusionen. Zwischen Samtvorhängen, verstaubten Requisiten, zerschlissenen Kostümen entfaltete er seine Persönlichkeit. In der Verborgenheit eines Kellers wurden seine Träume wahr, hier spielte sein ersehntes Leben: er war Publikum, Schauspieler und Regisseur zugleich. Grassers Aura schwebte so deutlich im Raum, daß Mandy glaubte, sie müßte nur die Hand ausstrecken, um seine Seele zu berühren.
    Völlig im Bann des mysteriösen Zimmers ließ Mandy sich auf ein Kanapee sinken. Ihr Blick wanderte langsam über die zahlreichen Theaterplakate und Szenenfotos an den Wänden. Merkwürdigerweise war Grasser selbst kein einziges Mal darauf abgebildet. Schließlich blieb ihr Blick an einem dunkelblauen Samtvorhang hängen. Neugierig ging sie darauf zu und schob den Stoff zur Seite.
    Dahinter verbarg sich eine Art kleiner Altar. In Form einer Pyramide waren mehrere Konsolen an der Wand befestigt. Auf der obersten stand ein dunkel gerahmtes, vergilbtes Foto. Es zeigte eine schöne, melancholisch blickende, junge Frau. Das Bild war von duftenden roten Rosen umgeben. Daneben lag ein filigran gearbeitetes Haarkämmchen aus Metall, dessen Farbe so verändert war, als wäre es durch die Einwirkung übermäßiger Hitze oxydiert.
    Auf der Konsole darunter fand Mandy ein schneeweißes Holzkästchen, dessen Deckel von einem schwarzen Kreuz geschmückt war. Angespannt nahm sie es zwischen die Hände und erkannte plötzlich, daß es die Form eines Sarges hatte. Der Verschluß aus Messing ließ sich unerwartet leicht öffnen. Auf glänzende weiße Seide gebettet lagen Knochen verschiedener Größe.
    Mandy zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt. Das Kästchen glitt ihr aus den Fingern und krachte zu Boden. Gleichzeitig hörte sie oben eine Tür schlagen. Erschrocken drehte sie sich um und lauschte. Nichts. Ihr Blick streifte ein Metallplättchen unterhalb der Konsolen, das wie in einem Museum einen Schriftzug trug: »In memoriam Franca Grasser.«
    Mehr als je zuvor wünschte sich Mandy, sie hätte das Zimmer niemals entdeckt. Es taten sich Abgründe auf, die sie hinter Grassers freundlich-verschmitzter Fassade nie vermutet hätte. Die Furcht vor noch grausigeren Funden schnürte ihr

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