Dornroeschenschlaf
erzählen zu wollen und wechselt das Thema. »Die Sache hat natürlich einen bitteren Nachgeschmack bei mir hinterlassen, klar, und deshalb habe ich den Zwerg darum gebeten … Ich habe den Toten also getroffen, wir haben uns unterhalten, und selbst wenn das womöglich alles nur fauler Zauber war, hab ich danach doch wieder Zuversicht gewonnen, echt. Außerdem bin ich nun mal davon überzeugt, daß Haru und du, daß ihr die gleiche Wellenlänge hattet. Hätte nicht dieser Typ zwischen euch gestanden, ihr wärt gut miteinander ausgekommen, ganz bestimmt. Der soll jetzt ja total langweilig und bieder geworden sein, aber damals war er doch wohl richtig gut drauf. Meiner Meinung nach seid ihr beide auf seine Art genau gleich abgefahren. Und darum glaube ich auch, daß ihr euch sehr ähnlich gewesen sein müßt.«
Wieder einmal macht Mizuo seinem Namen alle Ehre: Er ist wie kaltes Wasser. Der Wind draußen muß ziemlich stark sein. Ich bemerke es daran, daß an allen Ecken und Enden des schönen Bildes da draußen vor dem Fenster, wo eigentlich Ruhe herrschen sollte, die Bäume oder was auch immer schwanken. Auf den vollen Straßen bahnen sich die Scheinwerfer der Autos gemächlich ihren Weg durch die Nacht.
»Du bist übrigens viel eher mein Typ als Haru. Ich mag deine flache Nase und deine Tolpatschigkeit.«
Das klingt fast, als fände er selbst für die angeschlagene Blumenvase, die er da vor sich hat, noch ein paar tröstliche Worte, trotzdem, ich mag es, wie er redet, also muß ich ihn wohl wirklich lieben.
»Also gut, machen wir das«, sage ich. »Das scheint ja doch ganz interessant zu sein.«
»Ist es auch!« sagt Mizuo und trinkt seinen Wein. »Du kriegst deinen Kopf wieder klar, und es macht Spaß. Schon allein deshalb solltest du es unbedingt versuchen, auch wenn es vielleicht nur Unfug ist. Es wird dich erleichtern, und da ist ja wohl jedes Mittel recht.«
Mizuo führt mich zu einer dieser kleinen Snackbars im Souterrain, wie man sie überall in Tokyo finden kann und deren gesamtes Inventar eigentlich nur aus einer Theke besteht. Der Barmann ist tatsächlich ein richtiger Zwerg. Abgesehen von seinem insgesamt unproportionierten Körper wirkt er auf mich nicht besonders befremdlich. Er betrachtet mich mit aufmerksamen, wachen Augen.
»Deine Freundin?« fragt er Mizuo plötzlich. ’ »Ja, sie heißt Fumi.«
Ich nicke leicht und sage: »Freut mich!«
»Darf ich vorstellen: Das ist mein Freund Tanaka { * } , der Zwerg.«
Als Mizuo das sagt, lacht Tanaka und meint: »Also mit anderen Worten: Wäre ich Amerikaner, hieße ich Smith.«
Er ist mir zwar überaus suspekt, aber der scharfe Verstand, den ich an ihm feststelle, läßt mein Vertrauen in ihn wachsen. Durch eine kleine Tür in der Theke schlüpft er im Nu hinter dem Tresen hervor, geht zum Eingang und verschließt die schwere Tür.
»Ihr seid doch wahrscheinlich hier, um einen Toten zu treffen?« fragt Tanaka.
»Genau. Damit du nicht ganz aus der Übung kommst!« sagt Mizuo lachend.
»In letzter Zeit mach ich das eigentlich nicht mehr. Körperlich ist es nämlich eine ganz schöne Strapaze. Der Spaß wird euch verdammt teuer zu stehen kommen!« sagt Tanaka und schaut mich an.
»Wie lange ist es schon her?«
»Noch nicht so lange. Ich habe die Frau vor ungefähr zwei Jahren zum letzten Mal gesehen. Damals waren wir mit demselben Mann zusammen«, sage ich mit klopfendem Herzen. »Kann ich was zu trinken haben?«
»Klar. Ich habe auch Durst. Ich bestell uns ’ne Flasche.«
»Tja, damit gehört der Abend euch«, sagt Tanaka, steigt auf eine Leiter und kommt mit einer Flasche wieder herunter, die er ganz oben aus dem Regal geholt hat. Dann mixt er uns mit geschickten Handgriffen einen Whisky-Soda.
»Sie trinkt übrigens in letzter Zeit ein bißchen zuviel«, sagt Mizuo grinsend. »Mix ihr also was Kräftiges.«
»Oooh, verstehe.«
Tanaka lacht, und ich auch. Mizuo glaubt an mich. Er behandelt mich wie eine Erwachsene. Jedenfalls denke ich das immer. Das macht mich unwahrscheinlich sicher. Ich glaube, das Verhalten eines Menschen wird entscheidend davon beeinflußt, wie man ihn behandelt. Ganz unabhängig davon, wie alt jemand ist. Und Mizuo wußte schon immer sehr genau, wie er mit Menschen umzugehen hat. Wir prosten uns zu.
»Aber – warum willst du eigentlich eine Frau treffen, die mit demselben Typen zusammenwar wie du?« fragt Tanaka und legt skeptisch seinen Kopf auf die Seite. Mein Mund ist wie betäubt von dem starken
Weitere Kostenlose Bücher