Dornroeschenschlaf
Kaffee in einem Zug herunter und nicke schwach, als müßte ich mich seines Geschmacks versichern.
»Ihr konntet euch doch gar nicht ausstehen! Wieso auf einmal dieses Interesse, ausgerechnet jetzt?«
»Wie heißt es so schön: Wir sind uns in einem früheren Leben einmal begegnet … Quatsch, ich hab einfach lange nichts mehr von ihr gehört und war nur neugierig, was sie so macht. Mir geht’s nämlich gerade total gut, ich bin jetzt mit Mizuo zusammen.«
»Verstehe.«
Damals, als ich mit Haru und dem besagten Mann gewissermaßen zu dritt zusammenlebte, arbeitete er als Barkeeper. Ich ging oft in seinen Laden, um dort abzuhängen und ihn betrunken vollzuquatschen. Mit ihm konnte man ohne Hemmungen über alles mögliche reden, denn er hatte schon immer ein offenes Ohr für die Probleme anderer. Ich starre ihn an und bemerke, wie sich seine Silhouette gegen das schwache Licht des Cafés abhebt. Bei diesem Anblick erinnere ich mich plötzlich genau an die Atmosphäre jener Tage: dumpf und schwelend – ohne Morgen. Auf diese Stimmung, die da gerade wieder in mir aufflackert, möchte ich mich nie wieder mit Herz und Seele einlassen, aber sie macht mich doch seltsam sentimental.
»Hm, dann ist Haru also gar nicht mehr unter uns …«
Mein alter Freund auf der anderen Seite des Tresens nickt.
Ich gehe nach Hause und trinke ganz für mich allein auf Harus Wohl. Heute nacht lasse ich mich völlig gehen und besaufe mich hemmungslos – ich finde, das ist mein gutes Recht. Und heute nacht taucht auch nicht, monoton wie ein Fernsehbild, der Eiffelturm vor meinem geistigen Auge auf, wie sonst immer, wenn ich irgendwie an Haru denke. Statt dessen breitet sich Harus Gefühlswelt vor mir aus: Sie muß irgendwann von ihrem Weg, der sie so übermäßig viel Energie gekostet hat, abgekommen und dem Alkohol bedingungslos verfallen sein. Nachdem unser Lover uns verlassen hatte, hat Haru wohl nicht wieder zu sich selbst gefunden, und ich kann sie gut verstehen. Denn für uns war es eine Liebe, die alles von uns forderte, was wir zu geben hatten. Natürlich übte auch der Typ einen enormen Reiz auf uns aus, aber wir haben die Situation eigentlich nur deshalb so lange ertragen können, weil ich Haru hatte und Haru mich. Es kam nämlich häufig vor, daß er sich mit einer von uns verabredete, während er gleichzeitig die andere zu sich nach Hause bestellt hatte. Ob ihm das nun Spaß machte oder ob diese Beziehung auch ihn bedrückte, wer weiß. Gegen Ende jedenfalls bestellte er Haru und mich gelegentlich sogar zusammen in seine Wohnung, überließ uns dort uns selbst und ließ sich einfach die ganze Nacht nicht blicken.
Ich bin von Natur aus ungeschickt. Kochen, flicken – und sei das Loch auch noch so klein –, Pakete schnüren oder einen Pappkarton falten, all das gelingt mir mehr schlecht als recht. Haru hingegen war stolz auf solche Fähigkeiten, und jedesmal, wenn es sich ergab, beschimpfte sie mich ungeniert. »Ganz schön blöd!«, oder: »Jetzt würde ich gerne mal das Gesicht deiner Eltern sehen!«, sagte sie dann. Im Gegenzug machte es mir auch nichts aus, Haru darauf hinzuweisen, daß sie keinen Busen hatte und einen fürchterlichen Geschmack bei der Auswahl ihrer Klamotten. Unser Lover stellte unsere Stärken zwar lobend heraus, schreckte aber genausowenig davor zurück, Salz in offene Wunden zu streuen und unsere Schwächen aufzuzeigen. Das hat unsere Komplexe wahrscheinlich noch verstärkt.
»Du kannst wirklich beschissen schlecht kochen! Das sieht echt zum Kotzen aus! Buaah, dagegen ist Maggis Hüttensnack ja noch appetitlich!«
Haru sagte das eines Abends zu mir, als ich gerade dabei war, ein chinesisches Eintopfgericht zuzubereiten. Unser Schätzchen hatte sich mittags vor mir verdrückt und sich mit Haru getroffen, deshalb war ich ziemlich mies gelaunt.
»Und so was muß ich mir nun ausgerechnet von einer Schlampe sagen lassen, die sich so schlecht anzieht wie du! Ganz schön dreist, echt! Es sollte verboten werden, daß Frauen, die so platt sind wie ein Brett, schwarze Strickklamotten tragen!«
Harus Ellbogen traf mich mit voller Wucht in den Rücken, während ich noch damit beschäftigt war, das Gemüse anzubraten. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre mit meiner Hand genau im Topf gelandet.
»Ey, was soll das?« schrie ich. Doch meine Stimme wurde vom durchdringenden Lärm des aufzischenden Öls und von den feuchtwarmen Schwaden der Küchendünste verschluckt, so daß nur ein klägliches
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