Dornteufel: Thriller (German Edition)
damit?« Bei den Firmen, für die sie sonst arbeitete, reichte es normalerweise aus, einen Einfuhrschein auszufüllen.
»Ist Vorschrift.«
»Ich brauche mein Notebook. Da sind alle meine privaten Daten drauf; das gebe ich nicht aus der Hand.«
»Ist Vorschrift.«
»Darüber wird man doch reden können. Lassen Sie mich jetzt rein! Oder soll ich wieder gehen?«
Seine Miene blieb ausdruckslos.
»Ist Ihr Vorgesetzter zu sprechen?«, fragte Julia gereizt. Sie hatte sich schon gedacht, dass es eine Umstellung sein würde, für einen Kunden wie Serail Almond zu arbeiten. Bisher war sie von ICL Thermocontrol als Klimatechnik-Ingenieurin eher in mittelständischen Unternehmen eingesetzt worden. Der Kosmetikkonzern Serail Almond hingegen war ein internationales Großunternehmen, das in Bihar eines der größten Hautforschungszentren der Welt unterhielt. Heute schon wissen, was die Haut morgen braucht, lautete Serail Almonds Unternehmensphilosophie. Mit sechzig Tochterunternehmen und so bekannten Marken wie Skin-o-via oder Canella Polar deckten sie sowohl den internationalen Massenmarkt als auch das Premiumsegment der Hautpflege ab. Julia hatte recherchiert – sie wusste das alles. Was sie jedoch nicht erfahren hatte, war die Vorgehensweise bei ihrer Ankunft: Was sie hier erlebte, erinnerte sie an eine Inhaftierung.
Der Pförtner griff zum Telefon und sprach mit jemandem, ohne dass Julia ein Wort davon verstehen konnte. Dann tat er so, als habe er etwas im Hintergrund seines Kabuffs zu tun.
»Was ist jetzt?«, fragte sie.
Keine Reaktion.
Sie klopfte gegen die Scheibe. »Hallo? Antworten Sie mir! Und wo ist eigentlich Mr. Gallagher abgeblieben?«
Er ignorierte sie und verließ den kleinen Raum durch eine Hintertür. Sie war wieder allein. Langsam kam es Julia so vor, als würden sich die Wände der Schleuse auf sie zubewegen. So in etwa musste sich ein Verurteilter fühlen, wenn er sein zukünftiges Gefängnis betrat. Hilflosigkeit, kombiniert mit … böser Vorahnung?
Sie wollte nur ein halbes Jahr als Expat in Indien verbringen. Nachdem sie vier Jahre lang als Ingenieurin bei ICL in Deutschland gearbeitet hatte, waren ihr wohl doch die Gene ihrer Eltern in die Quere gekommen: Fabian und Beatrice Bruck hatten als Varietékünstler die Welt bereist und nie einen festen Aufenthaltsort besessen. Ihr Vater entstammte einer waschechten Artistenfamilie; ihre Mutter hatte sich als junges Mädchen in den Mann und wohl auch in das Künstlerleben verliebt. Tragischerweise waren beide vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen, der nicht einmal etwas mit ihrem Beruf zu tun gehabt hatte. Julia vermisste sie sehr, doch das Artistenleben, den unsteten, abenteuerlustigen Lebensstil, hatte sie immer verabscheut. Zumindest glaubte sie das. Ihr oberstes Ziel war es gewesen, ein bürgerliches Leben zu führen und sich darauf verlassen zu können, dass ihr jeden Monat ein gutes Gehalt überwiesen wurde. Das war auch ein paar Jahre lang gut gegangen. Aber als sich die Chance ergeben hatte, die Abteilung zu wechseln und nach Indien zu gehen, war es passiert: Ihr Job in Deutschland war ihr mit einem Mal öde vorgekommen. Die Aussicht auf eine neue Aufgabe und vor allem auf das Leben in einem fremden Land hatten sie gereizt.
Das alles ging ihr in der Schleuse durch den Kopf, bevor sie sich die Frage stellte, warum sie sich jetzt so schrecklich hilflos fühlte. Wie schnell hatte sich die Situation ihrer Kontrolle entzogen? Sie rief noch mal nach dem Pförtner und forderte ihn auf, sie rein- oder rauszulassen. Nichts passierte. Die Blöße, an den Toren nach einem Griff oder Schalter zu suchen und womöglich daran zu rütteln, gab Julia sich nicht. Sie fühlte, dass sie beobachtet wurde. Da, wo man Lautsprecher installierte, waren auch Kameras nicht weit. Julia lehnte sich gegen die Wand, weil ihr die Füße und der Rücken wehtaten. Der Beton fühlte sich kühl an. Draußen herrschten trotz der nächtlichen Stunde noch Temperaturen von über zwanzig Grad, und auch die Luft in der Schleuse war warm. Wie konnte die Wand dann so kalt sein?
Ein Klicken ertönte. Das vordere Tor schob sich lautlos zur Seite, sodass der Nachthimmel und dann ein paar Palmen und ein von spiegelnden Fassaden eingefasster Innenhof sichtbar wurden. Zwei Männer standen vor der Schleuse. Julia ging vor Wut schnaubend auf sie zu. Einer von ihnen war Tony Gallagher, der Facility-Manager, der sie vom Flughafen abgeholt hatte. Er starrte nach oben und tat so,
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