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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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sein eigentliches Leben, für das ihm sein empirisches Dasein mit Wohnadresse und Heiratsurkunden nur die Materialien liefert.
    Mit einem Wort, die Richtung der Kausalität ist umzudrehen, um »Dostojewskij« zu verstehen. Sein »Leben« wäre heute für niemanden von Interesse, wenn es nicht das Leben dieses einen Schriftstellers gewesen wäre, trotz aller Auffälligkeiten von Zuchthaus, Epilepsie und Spielsucht. Nicht er ist es, der sein Werk hervorbringt, sondern sein Werk ist es, das ihn hervorbringt. Sein Werk verwertet sein Leben und entwickelt dabei eine eigene Dynamik. Dostojewskij gehorcht dieser Dynamik und wird zu »Dostojewskij«, denn die mit der zu gestaltenden Sache aufkommende Dynamik strebt nach Vollendung. Um es in deutlichen Worten auszudrücken: Wer im Spieler nach Apollinaria Suslowa sucht, sollte sich lieber sofort die »Bunte« oder den »Stern« kaufen, um seine allzu menschliche Neugier ohne Umwege zu befriedigen.
    Dostojewskijs literarische Werke würden heute nicht ihre Leser in aller Welt fesseln, wenn sie sich nicht aufgrund ihrer künstlerischen Qualität längst von den Bedingungen ihrer Entstehung gelöst hätten. Sie sind jeweils »verstandene Welt«, derart ins Werk gesetzt, dass diese aus ihm unmittelbar entnommen werden kann. Und das ist nicht Folge einer inzwischen internationalen Dostojewskij-Forschung. Sondern: Die internationale Dostojewskij-Forschung ist die Folge davon, dass Dostojewskij ganz ohne sie, allein durch die suggestive Existenz seiner Werke, lebendig bleibt. Worin diese Suggestion besteht, wollten die hier vorgelegten Analysen seiner fünf großen Romane sowie der Aufzeichnungen aus einem toten Haus deutlich machen.
    Wenn eingangs festgestellt wurde, dass der Weltruhm Dostojewskijs auf diesen Werken beruht, so wird mit solcher Selektion gegenüber seinem Gesamtwerk deutlich, dass seine übrigen literarischen Texte vom Sog dieser sechs Hauptwerke profitierten. Diese Hauptwerke sind es, die nur von ihm geschrieben werden konnten. Selbst der »Geniestreich der Psychologie« (Nietzsche), die Aufzeichnungen aus dem Kellerloch , findet in Diderots Rameaus Neffe ihr gleichwertiges Pendant, und Der Spieler , wenn man so will, in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Spielerglück (aus den Serapions-Brüdern ).
    Zu bedenken bleibt auch, wäre Dostojewskij im sibirischen Zuchthaus zugrunde gegangen, so würde ihn sein Frühwerk zwar als ein Naturtalent des Erzählens ausweisen, ihm aber niemals die Position innerhalb der Weltliteratur verschafft haben, wie das die soeben genannten sechs späteren Werke konnten. Auch Dostojewskijs Zugriffe auf die Gattung des Romans nach 1856 und vor Verbrechen und Strafe (1866/67) sind zwar Lieferungen aus solider Werkstatt, reichen aber, gemessen an dem Maßstab, den dann die fünf großen Romane setzen, nicht an diese heran. Ich spreche von Onkelchens Traum (1859), Das Dorf Stepantschikowo und seine Bewohner (1859) und Die Erniedrigten und die Beleidigten (1861). Manch ein Dostojewskij-Verehrer wird auch ihnen seine Begeisterung entgegenbringen, doch es geht hier nicht um Verehrung und Pietät, sondern um die Anerkennung der wahren und unvergleichlichen Leistungen unseres Meisters aus Russland, die überhaupt erst der Grund dafür sind, dass man schließlich »allem«, was er geschrieben hat, ein besonderes Interesse widmet.
    Für solche Würdigung mag ein Blick auf Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller hilfreich sein. Wie kommt der geniale Wurf seines Spätwerks zustande? Motivierender Auslöser, die Abschussrampe sozusagen, sind die Aufzeichnungen aus einem toten Haus , die als Muttertext für die fünf großen Romane eine Sonderstellung einnehmen. Dieser Konnex ist zu erläutern. Natürlich hat er mit dem Leben Dostojewskijs etwas zu tun. Dostojewskij formuliert ja die Erfahrungen, die er im sibirischen Zuchthaus mit anderen und mit sich selbst gemacht hat. Er ordnet diese Erfahrungen aber seinen künstlerischen Ambitionen unter. Sein Leben wird ihm zum Material seiner Kunst, mit dem er nach Belieben umspringt. Vor allem muss Spannung erzeugt werden. Der Vatermörder gleich im ersten Kapitel der Aufzeichnungen aus einem toten Haus ist in Wahrheit gar kein Vatermörder; und der Erzähler soll kein politischer Sträfling sein, sondern der Mörder seiner eigenen Ehefrau, dessen Tat Dostojewskij mit der eingeschobenen Erzählung Akulkas Mann indirekt, aber in höchst anschaulicher Anmutungsqualität zur Sprache bringt. Dies hat der Leser

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