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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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instinktives Aufgreifen aller nur möglichen Mittel zur Abwendung des Verdachts; auf der allegorischen Ebene indessen belegt dieses Verhalten Smerdjakows die Schuld Dmitrijs. Der Lakai verrichtet die Tat nur, wenn jemand die Rolle des Täters schon übernommen hat. Die Rolle des Lakaien hat ihre Eigenart darin, selber keine eigenständige zu sein. Der Lakai kann Täter nur sein in der Rolle jenes anderen, der sich zur Wirklichkeit des Bösen offen bekennt.
    Auf dem Hintergrund solcher Verdeutlichung sei wiederholt: ohne Dmitrij kein Mord. Der Intellektuelle stellt zwar den Täter bereit, aber nur das offene Bekenntnis des Soldaten zum Töten lässt den Lakaien die Tat begehen. Und deshalb liegt alle Verantwortung für das Zustandekommen der Wirklichkeit des Bösen bei Dmitrij.
    Aufschlussreich werden in diesem Zusammenhang die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den drei Brüdern und Smerdjakow. Alexej (20 Jahre) und Iwan (23 Jahre) stammen aus Fjodor Karamasows zweiter Ehe mit der zarten und hysterischen Sofja Iwanowna, der früh verwaisten Tochter eines finsteren und uns namentlich nicht genannten Diakons, während Dmitrij (27 Jahre) aus Fjodor Karamasows erster Ehe mit der heißblütigen Adelaida Iwanowna Miusowa stammt, »einer ungeduldigen Dame von dunkler Gesichtsfarbe und außerordentlicher Körperkraft«. Man sieht: Dmitrij als Veranschaulichung der gefährlichsten Phase des bösen Wunsches wird auf das deutlichste von seinen Brüdern Iwan und Alexej abgerückt. Dmitrij ist aufgrund der vehementen und unbeherrschten Mutter von anderer Art als Alexej und Iwan, deren mütterlicher Erbteil die prekärste Vergeistigung mit sich bringt, eine Scheu gleichsam vor der Aktion. Ganz deutlich wird die Richtung solcher Allegorik bei Smerdjakow (24 Jahre). Er ist nur der mutmaßliche Stiefbruder der Titelgestalten. Fjodor Karamasow, so heißt es, habe ihn nach einem seiner nächtlichen Gelage mit Lisaweta, der »Stinkenden,« gezeugt, einer halbirren Spottgestalt, die, kerngesund und dunkelhaarig, an Bachrändern im Unkraut schläft. Doch Fjodor Karamasow selbst winkt ab: nicht er, sondern Karp mit der Schraube, der Zuchthäusler, sei Smerdiakows Vater; und für Grigorij, den Diener, ist Smerdjakow überhaupt kein Mensch: »Der Feuchtigkeit einer Badestube bist du entsprossen, nun weißt du, was du bist.«
    Die Kennzeichnung der Brüder und Smerdjakows durch die Mütter wird ergänzt durch die Kennzeichnung aufgrund der Frauen, denen sich die Söhne zuwenden. Alexej ist die exaltierte Lisa Chochlakowa zugeordnet, Iwan die stolze Katerina Werchowzewa, Dmitrij die sinnliche Gruschenka Swetlowa, und Smerdjakow flirtet mit der simplen Nachbarstochter Marja Kondratjewna. Solche Zuordnungen heben deutlich den höheren Grad an Leidenschaft in Dmitrij hervor. Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass der Begriff »Lüstling« ( sladostrastnik ) als Signum des karamasowschen Wesens und damit des menschlichen Wesens überhaupt fungiert. Bezeichnenderweise ist das Verhältnis des kastratenhaften Smerdjakow zu Marja nur die Parodie einer Liebesbeziehung. Insofern ist die Leidenschaft, die in Dmitrij zu höchster Gefährlichkeit gelangt, grundsätzlich positiv einzuschätzen. Das heißt: Würde man die Leidenschaft in Abzug bringen, so würde das Menschliche eliminiert. Dostojewskij will offensichtlich klarmachen, dass es nicht darum gehen kann, das Schuldigwerden abzustellen, vielmehr muss die Schuld zu höchster Bewusstheit gebracht und ausgehalten werden. In Dmitrij werden Schuldigwerden und Aushalten der Schuld zu exemplarischer Höhe geführt.
    Die sorgfältig herausgearbeitete Unsicherheit bezüglich der Herkunft Smerdjakows, wobei aber die Vermutung, er sei der illegitime Sohn des alten Karamasow, am hartnäckigsten nach vorn gerückt wird, soll ganz offensichtlich bedeuten: dass die Exekutive des Bösen im Menschen in keinem anerkannten Verwandtschaftsverhältnis zu seinem wahren Wesen steht. Dostojewskij veranschaulicht hier mit höchster Deutlichkeit seine These vom Urrechtsverhältnis zwischen Mensch und Gott, das durch kein Verbrechen, wie schwer es auch sei, verwirkt werden kann. Denn Smerdjakow, die Exekutive des Bösen, ist im wörtlichsten Sinne »des Teufels«. In dem Moment, wo es darum geht, Verantwortlichkeit zu ermitteln, ist das Werkzeug des Teufels verschwunden. Das genau ist der allegorische Sinn des Selbstmords Smerdjakows, der vollkommen termingerecht in der letzten Nacht vor Beginn der

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