Double Cross. Falsches Spiel
Tag auf die gleiche Weise mit einem gemeinsamen Ritt durch den Tiergarten. Das eröffnete jedem die Gelegenheit nachzuforschen, was der andere gerade tat, sich Wortgefechte mit ihm zu liefern und seine Schwächen aufzudecken. Canaris gefielen diese Ausritte noch aus einem anderen Grund - sie gaben ihm die Gewißheit, daß der junge General wenigstens eine Stunde am Tag nicht aktiv auf seine Absetzung hinarbeitete.
»Da haben wir es wieder, Herr Admiral«, sagte Schellenberg.
»Sie sehen immer nur die Schattenseiten. Ich glaube, das hat Sie zum Zyniker gemacht.«
»Ich bin nicht zynisch, Herr Brigadeführer, nur skeptisch. Das ist ein großer Unterschied.«
Schellenberg lachte. »Das ist der Unterschied zwischen uns im SD und euch, den Offizieren alter Schule in der Abwehr. Wir sehen immer neue, ungeahnte Möglichkeiten. Ihr seht nur Gefahr. Wir gehen Wagnisse ein, ihr scheut das Risiko. Nichts für ungut, Herr Admiral, aber ihr steckt lieber den Kopf in den Sand.«
»Aber bitte, mein junger Freund. Sie haben ein Recht auf eine eigene Meinung, auch wenn sie noch so falsch ist.«
Canaris' Pferd warf den Kopf zurück und schnaubte. Der sanfte Morgenwind trug seinen dampfenden Atem davon.
Canaris sah sich um und begutachtete die Schäden im Tiergarten. Die meisten Linden und Kastanien waren den Brandbomben der Alliierten zum Opfer gefallen und verkohlt.
Vor ihnen auf dem Weg klaffte ein Bombentrichter von der Größe eines Kübelwagens. Tausende davon waren überall im Park verstreut. Canaris ritt um den Trichter herum. Zwei Leibwächter Schellenbergs folgten ihnen leise zu Fuß. Ein dritter ging ein paar Schritte voraus und drehte den Kopf ständig von einer Seite auf die andere. Canaris wußte, daß noch mehr von ihnen da waren, die selbst für sein geübtes Auge unsichtbar blieben.
»Gestern abend landete etwas sehr Interessantes auf meinem Schreibtisch«, sagte Schellenberg.
»Tatsächlich? Wie hieß sie?«
Schellenberg lachte und ließ sein Pferd in einen leichten Trab fallen.
»Ich habe einen Informanten in London. Er hat vor langer Zeit für den NKWD gearbeitet und unter anderem einen Oxford-Studenten angeworben, der jetzt im Ml5 arbeitet. Von Zeit zu Zeit spricht er noch mit dem Mann und erfahrt dabei so manches. Und dann berichtet er mir darüber. Der MI5-Offizier ist ein russischer Agent, aber ich ernte sozusagen mit.«
»Beachtlich«, sagte Canaris trocken.
»Churchill und Roosevelt trauen Stalin nicht. Sie lassen ihn im dunkeln. Sie haben es abgelehnt, ihm etwas über Ort und Zeitpunkt der Invasion zu sagen. Sie fürchten, daß Stalin uns das Geheimnis verraten könnte, damit die Alliierten in Frankreich geschlagen werden. Und daß er, sobald die Briten und Amerikaner außer Gefecht gesetzt sind, versuchen könnte, uns alleine fertigzumachen und sich ganz Europa unter den Nagel zu reißen.«
»Ich kenne diese Theorie, aber ich halte nicht besonders viel von ihr.«
»Auf jeden Fall sagt mein Agent, daß der MI5 Probleme hat.
Er sagt, daß Ihr Mitarbeiter Vogel eine Operation gestartet hat, die ihnen eine Heidenangst einjagt. Die Ermittlungen leitet ein Offizier namens Vicary. Schon von ihm gehört?«
»Alfred Vicary«, sagte Canaris. »Ehemaliger Professor am University College in London.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Schellenberg aufrichtig.
»Wer ein tüchtiger Geheimdienstoffizier sein will, muß seine Gegner kennen, Herr Brigadeführer.« Canaris zögerte und ließ Schellenberg Zeit, sich von dem Seitenhieb zu erholen. »Kurt sorgt dafür, daß sie etwas für ihr Geld tun müssen, und das freut mich.«
»Die Lage ist so gespannt, daß Vicary sich mit Churchill persönlich getroffen und ihn über den Stand der Ermittlungen informiert hat.«
»Das überrascht mich nicht, Herr Brigadeführer. Vicary und Churchill sind alte Freunde.« Canaris warf einen Seitenblick auf Schellenberg, um festzustellen, ob sein Gesicht eine Spur von Überraschung verriet. Ihre Gespräche gerieten oft zu Duellen, bei denen jeder versuchte, den anderen mit seinen Kenntnissen zu verblüffen. »Vicary ist ein bekannter Historiker. Ich habe seine Bücher gelesen. Es erstaunt mich, daß Sie es nicht getan haben. Er hat einen scharfen Verstand. Er denkt wie Churchill. Er hat die Welt vor Ihnen und Ihren Freunden gewarnt, lange bevor andere von Ihnen überhaupt Notiz genommen haben.«
»Was hat Vogel vor? Vielleicht kann der SD Unterstützung leisten.«
Canaris erlaubte sich einen seiner seltenen, kurzen
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