Double Cross. Falsches Spiel
Hieb gegen den Adamsapfel, dann zog er die Mauser und schoß ihm in den Fuß. Der Mann brach zusammen, abwechselnd vor Schmerz brüllend und nach Luft schnappend. Neumann ging hinein und schloß die Tür. Das Lagerhaus war genau so, wie Catherine es beschrieben hatte - Lieferwagen, PKW, Motorräder, Paletten mit Schwarzmarktwaren und zahlreiche Kanister mit Benzin.
Neumann beugte sich zu dem Mann hinunter und sagte: »Eine falsche Bewegung, und ich schieße nochmal, aber diesmal nicht in den Fuß. Verstanden?«
Der Riese grunzte.
Neumann entschied sich für einen schwarzen Lieferwagen, öffnete die Fahrertür und ließ den Motor an. Er schleppte zwei Benzinkanister herbei und stellte sie hinten auf die Ladefläche.
Er überlegte, daß sie eine lange Fahrt vor sich hatten, und holte noch zwei Kanister. Dann stieg er in den Wagen, fuhr zum Tor und schob es auf.
Bevor er wegfuhr, kniete er sich neben den verletzten Mann und sagte: »An deiner Stelle würde ich sofort in ein Krankenhaus gehen.«
Der Mann war jetzt vollends verwirrt. »Wer zum Teufel bist du, Mann?«
Neumann lächelte. Er wußte, daß die Wahrheit so unwahrscheinlich klang, daß der Mann sie niemals glauben würde.
»Ich bin ein deutscher Spion und auf der Flucht vor dem MI5.«
»Klar, und ich bin Adolf Hitler.«
Neumann stieg in den Wagen und raste davon.
Harry Dalton riß die Verdunkelungsblenden von den Scheinwerfern und fuhr in halsbrecherischem Tempo westwärts durch London. Er wechselte ständig die Spur und drückte mit einer Hand permanent auf die Hupe. Vicary, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, klammerte sich an die Armstütze. Die Scheibenwischer kämpften vergeblich gegen den Regen an.
Harry bog in die Cromwell Road ein und beschleunigte so stark, daß das Heck des Wagens über den feuchten Asphalt schleuderte.
Harry drängelte und schlängelte sich durch den dichten Verkehr, dann bog er in eine schmale Gasse ein. Er gab Vollgas und machte zwei halsbrecherische Manöver, um einer Mülltonne und einer Katze auszuweichen. Hinter einem Wohnblock trat er voll auf die Bremse, und sie kamen quietschend zum Stehen.
Der Wagen der Special Branch stand schon da. Harry und Vicary stiegen aus, betraten das Gebäude durch den Hintereingang und stapften zum fünften Stock hinauf, wo sich der Observationsposten befand. Vicary ignorierte den Schmerz, der wie ein Messer in sein Knie schnitt, und hielt mit Harry Schritt.
Wenn mir Boothby vor ein paar Stunden die Erlaubnis zur Festnahme gegeben hätte, dachte er, säßen wir jetzt nicht so in der Patsche.
Die Katastrophe war fast perfekt.
Der Agent Rudolf war in der Euston Station aus einem Zug gesprungen und in der Stadt untergetaucht. Vicary mußte davon ausgehen, daß er nun aus dem Land fliehen wollte. Er hatte keine andere Wahl, als Catherine Blake zu verhaften. Er mußte sie in Gewahrsam nehmen und ihr eine Todesangst einjagen.
Vielleicht verriet sie ihm dann, wo Rudolf hinwollte und wie er zu fliehen gedachte, ob noch andere Agenten beteiligt waren und wo er sein Funkgerät aufbewahrte.
Vicary war alles andere als zuversichtlich. Er hatte das sichere Gefü hl, daß diese Frau nicht einmal angesichts ihrer drohenden Hinrichtung kooperieren würde. Sie brauchte nur so lange dicht zu halten, bis Rudolf außer Landes geflohen war. Rudolf würde die Abwehr in den Besitz von Informationen bringen, die es ihr ermöglichten, das Täuschungsmanöver des britischen Geheimdienstes zu durchschauen. Die Folgen waren kaum auszudenken. Die gesamte Arbeit, die sie in Fortitude investiert hatten, wäre umsonst gewesen. Die Deutschen würden erkennen, daß die Alliierten in der Normandie angreifen wollten. Die Invasion müßte verschoben und neu geplant werden, andernfalls würde sie in einem Blutbad enden. Hitler würde Westeuropa weiterhin besetzt halten und mit eiserner Hand beherrschen. Der Krieg würde zahllose weitere Opfer fordern. Und all das, weil Vicarys Operation gescheitert war. Sie hatten nur noch eine Chance: Sie mußten Catherine Blake verhaften und Rudolf aufhalten, bevor er das Land verlassen oder sein Funkgerät benützen konnte.
Harry öffnete die Tür der Wohnung und trat ein. Vicary folgte ihm in das Zimmer, das zur Straße hinausging. Die Vorhänge waren aufgezogen, das Licht war gelöscht. Vicary versuchte angestrengt, die Gestalten auszumachen, die überall im Zimmer verteilt waren und mit ihren unterschiedlichen Posen wie Statue n in einem nächtlichen Garten wirkten.
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