Double Cross. Falsches Spiel
Seitdem war sie spurlos verschwunden. Lockwood hielt mit der Rebecca voll auf die Camilla zu, dann, wenige Meter entfernt, ging er auf volle Fahrt zurück und brachte das erzitternde Boot zum Stehen.
Jordan beugte sich über den Bug und hielt nach dem Mädchen Ausschau. Dann stand er plötzlich auf und sprang ohne jede Vorwarnung in die See. Harry drehte sich um. »Jordan ist im Wasser«, schrie er nach hinten zu Lockwood. »Fahren Sie nicht näher heran!«
Jordan tauchte wieder auf und zog die Schwimmweste aus.
»Was zum Teufel tun Sie da?« brüllte Harry.
»Ich komme nicht weit genug runter mit diesem verdammten Ding am Leib!«
Jordan holte tief Luft und blieb, wie Harry schätzte, etwa eine Minute verschwunden. Die Wellen schlugen gegen die Backbordseite der Camilla. Sie rollte von einer Seite auf die andere und trieb immer weiter auf die Rebecca zu. Harry wandte sich wieder um und winkte Lockwood im Ruderhaus mit den Armen.
»Ein paar Meter zurück! Die Camilla kommt uns zu nahe.«
Endlich tauchte Jordan wieder auf. Er hielt Jenny in den Armen. Sie war bewußtlos, und ihr Kopf hing schlaff zur Seite.
Jordan löste die Leine vom Rettungsring, zog sie unter Jennys Armen durch und schlang sie ihr um den Leib. Dann reckte er den Daumen in die Höhe, und Harry zog Jenny durch das Wasser zur Rebecca. Clive Roach half, sie an Deck zu hieven.
Jordan strampelte wild mit den Beinen. Wellen schwappten über seinen Kopf, und er war völlig erschöpft von der Kälte.
Harry band Jenny rasch los und warf ihm die Leine zu. In diesem Augenblick kenterte die Camilla und riß Jordan in die Tiefe.
61
Berlin, April 1944
Kurt Vogel saß geduldig in Walter Schellenbergs luxuriös eingerichtetem Vorzimmer und wartete. Eine Schar junger Adjutanten ging geschäftig im Büro des Brigadeführers ein und aus. Sie waren blond und blauäugig und sahen alle aus, als seien sie einem Propagandaplakat der Nazis entsprungen. Vor drei Stunden schon hatte ihn Brigadeführer Walter Schellenberg zu einer dringenden Unterredung über ›diese leidige Geschichte in Großbritannien‹, wie er Vogels gescheiterte Operation nannte, in sein Büro beordert. Vogel machte es nichts aus, daß er warten mußte. Er hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Seit Canaris entlassen war und die SS die Abwehr übernommen hatte, war der deutsche Nachrichtendienst ein steuerloses Schiff. Die Stimmung war so schlecht, daß viele Offiziere sich sogar lieber freiwillig an die Ostfront gemeldet hatten, als noch länger am Tirpitz-Ufer zu bleiben.
Vogel hatte andere Pläne.
Einer von Schellenbergs Adjutanten kam heraus, richtete in einer anklagenden Geste den Finger auf Vogel und winkte ihn herein. Es war Vogels erster Besuch im Reich seines neuen Chefs. Schellenbergs Büro unterschied sich radikal von dem geschmackvollen Understatement, das Canaris' Büro am Tirpitz-Ufer geprägt hatte. Es war groß wie eine gotische Kathedrale, und die Wände waren mit Gemälden und Wandteppichen geschmückt. Die Aprilsonne schien schräg durch die hohen Fenster herein. Unter den Linden schwelten noch die Brände von dem Luftangriff am Morgen. Feiner Ruß wehte über den Tiergarten wie schwarzer Schnee.
Schellenberg lächelte freundlich, drückte Vogels knochige Hand und bedeutete ihm, sich zu setzen. Vogel wußte von den Maschinengewehren in Schellenbergs Schreibtisch, und so saß er ganz still und legte seine Hände gut sichtbar auf die Armlehnen des Stuhls. Die Türflügel schlossen sich, und sie waren allein in Schellenbergs Palast. Vogel merkte, daß Schellenberg sich an seinem Anblick weidete.
Schellenberg und Himmler hatten zwar schon seit Jahren gegen Canaris intrigiert, doch am Ende hatte eine Kette unglücklicher Ereignisse den alten Fuchs zu Fall gebracht.
Zunächst hatte Argentinien ganz plötzlich alle Verbindungen mit dem Dritten Reich abgebrochen, nachdem es jahrelang ein zuverlässiger und nützlicher Verbündeter gewesen war, und Hitler beschuldigte Canaris, versagt zu haben, weil er ihn nicht rechtzeitig gewarnt hatte. Dann verlor die Abwehr einen wichtigen Horchposten in Spanisch-Marokko, und mehrere wichtige Abwehr-Offiziere in der Türkei, in Casablanca, Lissabon und Stockholm liefen zum Feind über. Doch der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, war der katastrophale Ausgang von Vogels Londoner Operation. Zwei Top-Agenten der Abwehr, Horst Neumann und Catherine Blake, wurden in Sichtweite eines deutschen U-Boots erschossen. Das Ausmaß der
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