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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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zu zweit oder dritt an seiner Tür vorbei, die Gesichter abgewendet und dennoch verstohlene Blicke werfend - wie Autofahrer, die eine Unfallstelle passieren. Immer wenn Vicary einen Aktenstapel durchgearbeitet hatte, fragte Harry:
    »Was gefunden?« Und Vicary antwortete mit finsterer Miene:
    »Nein, zum Teufel noch mal.«
    Um zwei Uhr nachmittags fiel ihm die Decke auf den Kopf.

    Er hatte zuviel geraucht und zuviel Tee getrunken.
    »Ich muß mal an die frische Luft, Harry.«
    »Machen Sie ein paar Stunden Pause. Das wird Ihnen guttun.«
    »Ich werde einen Spaziergang machen - und vielleicht etwas essen.«
    »Soll ich Ihnen Gesellschaft leisten?«
    »Nein, danke.«
    Ein leichter Nieselregen trieb wie der Pulverdampf einer nahen Schlacht über Westminster, als Vicary an der Themse entlangging. Vom Fluß wehte ein eisiger Wind herüber, rüttelte an den provisorisch angebrachten Straßenschildern und pfiff über den Schutthaufen, der dort lag, wo einst ein prächtiges Haus gestanden hatte. Vicary schritt so schnell aus, wie es sein steifes Knie zuließ, den Kopf gesenkt, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Ein Passant hätte aus seiner grimmigen Miene schließen können, daß er zu spät zu einem wichtigen Treffen kam oder gerade von einem unangenehmen floh.
    Die Abwehr hatte mehrere Möglichkeiten, Agenten nach Großbritannien einzuschleusen. Viele landeten in kleinen Booten an der Küste. Vicary hatte gerade den Bericht über die Verhaftung der Doppelagenten mit den Decknamen Mutt und Jeff gelesen; sie waren in der Nähe des Heringsfischerdorfs MacDuff in der Grafschaft Moray von einem Wasserflugzeug des Typs Arado ans Ufer gewatet. Vicary hatte die Küstenwache und die Kriegsmarine bereits zu besonderer Wachsamkeit angehalten. Aber die britische Küste war viele tausend Meilen lang. Es war unmöglich, sie lückenlos zu überwachen, und die Chancen, nachts an einem Strand einen Agenten zu erwischen, waren gering. Andere Spione der Abwehr waren mit dem Fallschirm über der Insel abgesprungen. Eine vollständige Überwachung des Luftraums war unmöglich, dennoch hatte Vicary die Luftwaffe gewarnt, verstärkt auf vereinzelte Flugzeuge zu achten.
    Die Abwehr hatte Agenten auch in Irland und Ulster abgesetzt. Um von dort nach England zu kommen, mußten sie die Fähre nehmen. Vicary hatte deshalb die Betreiber der Fähren angehalten, nach verdächtigen Passagieren Ausschau zu halten, nach Leuten, die mit den Gepflogenheiten an Bord, mit der Sprache oder dem britischen Geld nicht vertraut waren. Eine Beschreibung konnte er ihnen nicht geben, denn er hatte keine.
    Das schnelle Gehen und die Kälte machten ihn hungrig. Er ging in einen Pub in der Nähe der Victoria Station und bestellte einen Gemüse-Pie und ein Glas Bier.
    Sie müssen einen Stein aus Ihrem Herzen machen, hatte Churchill gesagt.
    Leider hatte er das schon vor langer Zeit getan. Helen... Sie war die Tochter eines wohlhabenden Industriellen, verwöhnt und attraktiv, und Vicary hatte sich wider bessere Einsicht hoffnungslos in sie verliebt. Ihre Beziehung endete am Nachmittag jenes Tages, an dem sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Irgendwie deutete Helens Vater die Zeichen richtig - die Art, wie sie einander bei der Hand hielten, als sie vom See zurückkamen, die Art, wie Helen Vicary über das schon schütter werdende Haar strich. Noch am selben Abend rief er Helen zu sich und eröffnete ihr unter vier Augen, daß er ihr unter keinen Umständen erlauben werde, den Sohn eines kleinen Bankangestellten zu heiraten, der als Stipendiat die Universität besuche. Er befahl Helen, die Beziehung sofort und ohne großes Aufsehen zu beenden, und sie gehorchte. Sie war diese Art von Mädchen. Vicary hatte ihr deswegen niemals Vorwürfe gemacht und liebte sie noch immer. Doch an jenem Tag war etwas in ihm zerbrochen. Er selbst vermutete, es war seine Fähigkeit zu vertrauen, und er fragte sich, ob er sie jemals wiedererlangen würde.
    Ein einzelner Mann kann keinen Krieg gewinnen...

    Vicary dachte: Zum Teufel mit dem Alten, warum muß er mir das aufbürden?
    Die Wirtin, eine wohlgenährte Frau, trat an den Tisch. »Na, schmeckt es Ihnen nicht?«
    Vicary blickte auf seinen Teller. Er hatte die Karotten und Kartoffeln zur Seite geschoben und geistesabwesend mit der Spitze des Messers Linien durch die Soße gezogen. Er sah genauer hin und stellte fest, daß er die Karte von England in die braune Pampe gezeichnet hatte.
    Er dachte: Wo wird der verfluchte

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