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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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eins auswischen könnte.«
    »Aber ich habe mich verändert, Herr Premierminister. Ich habe Dinge getan, die ich mir früher nie zugetraut hätte. Und ich habe auch ein paar Dinge getan, für die ich mich schäme.«
    Churchill schaute verblüfft. »Für die Sie sich schämen?«
    »Wenn man den Kamin fegt, bekommt man schwarze Finger«, fuhr Vicary fort. »Den Satz hat Sir James Harris 1785 geschrieben, als er Gesandter in Den Haag war. Er verabscheute es, daß er Spione und Spitzel bezahlen sollte. Manchmal wünschte ich mir, es wäre noch so einfach.«
    Vicary erinnerte sich an die Nacht im September 1940. Er und seine Leute hatten sich, mit schwarzen Ölmänteln bekleidet, im Heidekraut auf einer Klippe versteckt, die einen Strand in Cornwall überragte. Vicary wußte, daß der Deutsche in dieser Nacht kommen würde, denn die Abwehr hatte Karl Becker beauftragt, ihn in Empfang zu nehmen. Der Agent war beinahe noch ein Kind, wie sich Vicary erinnerte, und als er mit seinem Schlauchboot landete, war er halb erfroren. Er fiel den Männern der Special Branch buchstäblich in die Arme, stammelte etwas auf deutsch und war nur froh, noch am Leben zu sein. Seine Papiere waren ebenso stümperhafte Fälschungen wie die zweihundert Pfund, die er bei sich trug, und sein Englisch beschränkte sich auf ein paar Höflichkeitsfloskeln, die man ihm eingepaukt hatte. Es war so dürftig, daß Vicary das Verhör auf deutsch führen mußte. Der Spion hatte den Auftrag, Informationen über die Verteidigungsanlagen an der Küste zu sammeln und, wenn die Invasion begann, Sabotageakte durchzuführen. Vicary kam zu dem Schluß, daß der Mann für ihn nutzlos war, und fragte sich, wie viele Leute dieser Sorte Canaris noch hatte - schlecht ausgebildet, mangelhaft ausgerüstet, mit viel zuwenig Geld versehen, praktisch ohne jede Erfolgschance. Das ausgeklügelte Täuschungsmanöver des MI5 machte es erforderlich, daß einige Spione hingerichtet wurden, und so sprach sich Vicary dafür aus, den Jungen zu hängen. Er hatte der Exekution im Gefängnis Wandsworth am folgenden Morgen beigewohnt. Nie sollte er den Ausdruck in den Augen des Spions vergessen, als der Henker ihm die Kapuze überstreifte.
    »Sie müssen einen Stein aus Ihrem Herzen machen, Alfred«, sagte Churchill mit einem heiseren Flüstern. »Wir haben keine Zeit für Gefühle wie Scham oder Mitleid - keiner von uns, nicht jetzt. Sie müssen die moralischen Skrupel, die Sie noch haben, überwinden, Sie müssen Ihr menschliches Mitgefühl beiseite schieben und tun, was getan werden muß. Ist das klar, Alfred?«
    »Ja, Herr Premierminister.«
    Churchill beugte sich zu ihm herüber und sagte in vertraulichem Ton: »Es gibt eine unangenehme Wahrheit über den Krieg, Alfred. Ein einzelner Mann kann keinen Krieg gewinnen. Aber ganz bestimmt kann ein einzelner Mann einen Krieg verlieren.« Churchill machte eine Pause. »Um unserer Freundschaft willen, Alfred, seien Sie nicht dieser Mann.«
    Vicary, erschüttert über Churchills Ermahnung, raffte seine Sachen zusammen und ging zur Tür. Er öffnete sie und trat hinaus auf den Flur.
    Der Wetterbericht, der an der Wand hing und stündlich aktualisiert wurde, verhieß Regen. Hinter sich hörte Vicary, wie Churchill, allein in seiner unterirdischen Kammer, vor sich hin murmelte. Es dauerte einen Augenblick, bis Vicary verstand, was der Premierminister sagte.
    »Dieses englische Sauwetter«, murmelte Churchill. »Dieses englische Sauwetter.«
    Instinktiv suchte Vicary in der Vergangenheit nach Hinweisen. Er las alles: entschlüsselte Meldungen, die Agenten in Großbritannien an die deutsche Funkstelle in Hamburg geschickt hatten, Mitteilungen, die Hamburg an die Agenten gefunkt hatte, Berichte über einzelne Fälle, auch über solche, an denen er selbst nicht beteiligt gewesen war. Er las den Abschlußbericht über einen der ersten Fälle, die er bearbeitet hatte, eine Affäre, die in einem Ort namens Cape Wrath im Norden Schottlands geendet hatte. Er las das Empfehlungsschreiben, das, von seinem Abteilungsleiter Sir Basil Boothby widerwillig aufgesetzt und als Kopie Premierminister Winston Churchill zugestellt, in seine Personalakte aufgenommen worden war. Und wieder empfand er Stolz.
    Harry Dalton pendelte wie ein mittelalterlicher Bote zwischen Vicarys Schreibtisch und der Registratur, beförderte neue Dokumente in die eine, alte in die andere Richtung. Kollegen, denen die nervöse Anspannung in Vicarys Büro nicht verborgen blieb, schlichen

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