Downtown Blues
wir aus gut unterrichteten Kreisen erfahren, wurde die Verlobung zwischen Winona Warring und Bezirksstaatsanwalt Lowell Brannigan gelöst. Der als Kronprinz des Bürgermeisters gehandelte Brannigan war zu keiner Stellungnahme bereit.
– Gabby Saint-Juste für VIP-News
Die ersten drei Leichen kannte ich nur aus den News, und auch nur, weil sie sich von den üblichen Opfer der DWNTN unterschieden – sie waren auf besonders widerliche Art umgebracht worden –, die vierte aus der Downtown-Patho, nachdem ihre Einzelteile von ein paar Pennern aus einer Mülltonne gezogen worden waren. Da war es gerade mein Fall geworden, meiner und Chans.
Es war frühmorgens, und die Nachtschicht der DWNTN-Zentrale kam nur schleppend der Order nach, einen Agenten der City Force zu unterstützen. Das war schon Geschichte bei den Cops, CF-Agenten und ihre Privilegien, denen macht man den Job so schwer man kann. Dabei waren sie es, die offiziell um Mithilfe durch die C-Force gebeten hatten. Ranson und sein Partner, die angenervte Uhura Krantz, waren zuerst an dem Fall, hielten es für eine Routine-Sache – ungefähr bis zur dritten Toten. Nummer drei war anders: Sie kam aus der Uptown, doch das wissen nur die Insider. Und zu denen gehöre ich seit knapp zehn Minuten. Pech für mich, dass die dritte Schicht gerade zu Ende ging, als Nummer vier gefunden wurde. Schichtwechsel bedeutet, Sergeant Karlson ist der ESL vom Dienst, und er wartet bereits in der DWNTN-Patho auf mich.
»Wo ist Ihr Leisetreter, Donovan?«, grinst Karlson bei meinem Anblick. »Holt sich schnell noch sein Chop Suey?«
»Reden Sie etwa von meinem Partner, Sergeant?«, pampe ich zurück. Warum soll ich so tun, als würde ich ihn als Autoritätsperson anerkennen? Karlson hat nichts getan, um sich meinen Respekt zu verdienen. Wenn’s nach ihm gegangen wäre, dann wäre City Force-Agent Donovan längst Geschichte. Bezirksstaatsanwalt Brannigan sah die Dinge anders, und er ist mein Boss. Hat alles für mich eingerenkt, nachdem ich wegen dieses Prämienfalls, der dann doch keiner war, tagelang abgetaucht war. Hat mit Lieutenant Morales und den Idioten von der Internen geredet. ’ne Sonderbehandlung hat’s für mich trotzdem nicht gegeben. Und jetzt bin ich hier – fünf Uhr morgens in der Leichenhalle. Mein neuer Fall: der Downtown-Schlitzer. Wolltest du’s nicht so, Donovan? Scheiße, nein.
Ranson und Krantz haben mich gewarnt. Doch was da auf dem Tisch auf der verkratzten Blechplatte liegt, dreht mir trotzdem den Magen um. Da war einer mit ’nem Lasermesser dran, einer auf ’nem ganz krassen Psycho-Trip. Aber irgendwo unter diesen blutigen Klumpen aus Fleisch, Haut und Muskeln steckt ein menschliches Wesen, das vor wenigen Stunden noch geatmet, gesprochen und dann nur noch geschrien hat.
Nein, ich wende die Augen nicht ab. Wenn das hier zu meinem Job gehört, dann ist das eben so. Ich zwinge Karlson, meiner Blickrichtung zu folgen. Als ich ihn würgen hör, seh ich ihn nur ganz ruhig an. Dieser dumme Scheißer, denkt, er kann mich fertigmachen.
»Verdammte Sauerei, das.« Der DWNTN-Pathologe schält mit langen, knochigen Fingern eine exotische Frucht und schiebt sie sich schmatzend in den Mund. Müssen ständig essen, diese Typen. Der Tod macht sie wohl hungrig.
»Todesursache, Doc?«, frage ich.
»Ist doch wohl offensichtlich!«, plustert sich Karlson auf. »Haben Sie keine Augen im Kopf, CF-Agent?«
»Ist erwürgt worden, wie die anderen auch.« Er ignoriert Karlson und richtet das Wort an mich.
»Schon identifiziert?«
»Kam gerade rein.« Er winkt lapidar in Richtung Screen, sein Gesicht zeigt die müden, grauen Linien der Gleichgültigkeit, der Routine. Nur ein weiterer Fall für den großen Eisschrank, für den eiskalten Schlaf. Ist mit den Gedanken schon beim nächsten Fall. Um diese Tageszeit wird der Abfall der Nacht bei ihm abgeladen.
Ich rufe die Aufzeichnung ab: »Netzhaut-Scan identifiziert Mord 4 in wahrscheinlicher Serie als Rita-Sophia Ochoa, neunzehn Jahre alt. Eins von Ricos Mädchen. Straße sagt, Gonzales ist seit zwei Wochen abgetaucht.« Der Bericht ist mit Ransons Initialen abgezeichnet. »Straße« ist Cop-Slang für einen Informanten. Also kein unreg Subjekt, sondern ein Mädchen aus der Vergnügungsbranche. Jetzt nur noch Opfer Nummer vier des Psycho-Killers.
Karlson redet, redet. Kennt sich plötzlich mächtig aus, dieser Büroarsch, weiß, wie wir die Sache anpacken sollen. Redet sich von der Verantwortung frei, vom Vorwurf,
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