Downtown Blues
nur so weiter«, drohe ich. »Und sag mir mal, warum ich stundenlang hier draußen rumstehen musste. Diese Juanita, was macht sie?«
»Singt in ’ner Band. Los Lobotones heißen sie«, sagt es betont beiläufig.
»Was?!«
Ehe er mir antworten kann, werden wir von der Menge durch die Luftschleuse geschoben. Diesmal gibt es keine abschätzenden Blicke vom Türsteher, sondern einen Tisch in der VIP-Sektion, direkt vor der kleinen Bühne. Toll, genau was ich wollte, wild zuckende Strobs auf meinem silbernen Space-Suit. Komme mir so passend vor wie ein Popel auf der Nase von Koxiala Bent. Und die sitzt am Nebentisch, diesmal in üppig gerüschtem Turquoise und Gold von Hetty Jamato und grün vor Neid, weil ihr mein strahlendes Outfit die Show stiehlt. Der Support spielt bereits, eine neue Band aus einer kleinen Küstenkommune oben im Norden, nennen sich die Blade Runner. Chan sagt, die Jungs wären ganz stark im Kommen. Will ich gerne glauben, besonders Sänger und Drummer haben das, was die Medientypen »Star-Potenzial« nennen, und ihr Sound zieht auch gut rein.
Allmählich weicht die Spannung von mir, und als Chan mir eine geeiste Margarita rüberschiebt, denke ich: Mir ist danach, mich heute richtig zu amüsieren. Keine Killer, keine Geister der Vergangenheit und keine verlorene Liebe. Ich hebe das hohe Glas an die Lippen, nehme einen langen Schluck und noch einen. Ich lass meine Blicke durch die Endstufe streifen, heute Nacht sind die üblichen Uptowner gut durchsetzt mit schrillen Downtown-Typen, gehören wohl zu Juanitas Hofstaat. Feng ist da und – Aranxa Capistrano in Begleitung eines finsteren Hombre, Herman Santero. Scheiße, Scheiße. Sie sieht angenervt aus, als würde sie dringend auf etwas warten. Ihren Dealer, vermutlich. Ich beschließe, ihre Anwesenheit zu ignorieren, und bestelle mir den nächsten Drink, den ich viel zu hastig trinke. Was soll’s. Die Band gibt noch eine Zugabe, und dann springt Juanita mit ihren Lobotones auf die Bühne und kreischt zum Aufwärmen ihren aktuellen Hit »La Vida Loca«. Und schon stehen die supercoolen Uptowner auf den Tischen. Chan zieht mich auf die Füße und ruft in mein Ohr: »Los, Partner, zeigen wir’s denen!« Hey, warum nicht? Schreien und tanzen kann ich auch.
Eine Stunde und zwei Zugaben später lasse ich mich atemlos und ziemlich beschwippst auf den Stuhl fallen. Doch Chan gönnt mir keine Pause. Völlig durchgeschwitzt und ausgepowert schieben wir uns mit Feng und seinen Bodyguards durch die Menge Backstage. »Juanita hi sagen«, nennt es Chan. Fast ohne es zu wollen, bemerke ich sie wieder. Allein, ohne ihren Aufpasser, sitzt Aranxa Capistrano da. Sieht aus, als würde sie immer noch auf jemanden warten. Seltsam, aber nicht mein Problem. Chan winkt mir ungeduldig zu. Im Weitergehen drehe ich mich noch einmal zu ihr um. Jetzt lächelt sie, verführerisch und siegessicher. Ist jemand bei ihr? Wer – jemand, der mir bekannt vorkommt – nein, ich muss mich irren. Ich muss, ich muss. Ein laut lachendes Uptown-Paar schiebt sich in mein Blickfeld. Ich recke den Hals, stelle mich auf die Zehen, da sehe ich es: Bru sitzt neben ihr, sieht ihr in die Augen, spricht mit ihr. Und sie, sie lächelt immer noch dieses Lächeln. Das kann nicht sein. Erst vor drei Wochen sagte er – Ich will zu ihm, ihn zur Rede stellen, aber meine Füße bewegen sich nicht, meine Knie werden weich. Auf einmal wird mir heiß und kalt und übel. Ich muss hier raus, ich brauche Luft, nein, ich muss kotzen. Ich wirbel herum und kämpfe mich durch die widerstrebend nachgebende Menge aufs Klo. Und dann kotze ich die ganzen Margaritas in die Schüssel, aber besser fühle ich mich dadurch nicht.
Als ich wieder denken kann, bin ich schon vier Blocks weit gerannt, entkommen bin ich noch lange nicht. So schnell, so unverhofft holen sie einen ein, die Geister der Vergangenheit und die verlorene Liebe. Und der Killer? Ein willkommenes Gefühl steigt in mir auf, sammelt sich warm in meinem Bauch. »Benutze die Wut, mach sie zu deiner Verbündeten.« Ich laufe immer weiter durch die dunklen Straßen, furchtlos, bereit. Vier zerstückelte Leichen, durchgekaut und ausgespuckt von einer harten Stadt. Downtown, das Leben wird tödlicher mit jeder Saison. Unsichtbare Schatten lauern in stinkenden Hinterhöfen, in heißen Seitenstraßen, in deiner Vorstellung. Nur ein kurzer Weg in den Wahnsinn. Aber ich – ich bin furchtlos und bereit. Sonst habe ich nichts mehr, nur noch meine Wut, die die Angst
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