Downtown Blues
your heart.«
– Neil Young
Ich stoße die Tür des Saab-Aerospace auf, springe auf die Landeplattform des Bürgerzentrums und schnappe überrascht nach Luft, als ich gegen die Wand aus glühendem Ozon laufe. Die Hitze ist kaum noch auszuhalten. Selbst in der Nacht kühlen die Straßenschluchten nicht mehr ab, und auf den oberen Ebenen ist der Wind vom Meer nicht mehr zu spüren. In den News erzählen sie uns, warum die Regenzeit auch dieses Jahr ausbleibt, und werfen locker mit Worten wie El Niño und Klimaerwärmung um sich. In den Vierteln mit der höchsten Unreg-Quote läuft seit Wochen das Seuchen-Präventionsprogramm. Nacht für Nacht überfliegen die schwarzen United-Chemical-Kopter die Gegend und versprühen Desinfektionslösung und Neutralisierer.
Wenn man eine falsche Kanibo-Tofu-Rolle aus der Hand gegessen nicht mitrechnet, hat die Sushi-Bude keine Ergebnisse gebracht, genauso wenig wie ein Besuch bei der Davidson-Familie, denn die waren verschwunden. Und verschwunden heißt in der Downtown, dass jemand, der nicht gefunden werden will, auch nicht gefunden wird. So viel zur Spurensuche und zum Steineumdrehen.
José Santos, der Freund von Mord 2, Serafina Connor, arbeitet im Bürgerzentrum. Jetzt am Nachmittag beginnt, laut DWNTN-File, gerade seine Schicht. Nachdem ich dem ESL meine CF-Plakette gezeigt habe, schickt er Chan und mich zur Markenvergabestelle.
Angefangen bei seinen arglosen, freundlichen Augen unter buschigen Brauen und einem schlechten Haarschnitt darüber, bis zu seinem schmächtigen Körper, der in einem Wegwerf-Coverall mit Happy-Food-Logo steckt, ist Santos der Typ des netten Jungen, der im Film immer das Mädchen seiner Träume an den besten Freund verliert. Im Fall von Serafina ist es der große Unbekannte. »Sie hatte sich verändert. Früher hat sie mir immer alles erzählt, doch dann …«
»Ein anderer Mann?« Chan setzt sein »Du Kumpel, ich verstehen«-Gesicht auf.
»Was sollte es sonst gewesen sein?« Santos ist ratlos, versteht die Frauen nicht, versteht die Welt nicht. Fast möchte ich ihn in den Arm nehmen und trösten, aber nur fast. »Plötzlich hatte sie all diese neuen Kleider, teure Sachen – von Glizzo Veno oder so, hat sie gesagt –, ging nicht mehr zur Arbeit …«
»Im Moccaccino-Shop?« In den Files stand nicht, dass sei ihren Job geschmissen hat. »Wie lange ging das?«
»Zwei, drei Wochen vielleicht.« Sein Blick huscht zu der Schlange vor dem Ausgabeschalter, die immer länger und lauter wird. »Ich …« Er bricht hilflos ab. Will die beiden City Force-Agenten nicht verärgern.
»Nur noch eine Frage«, beruhige ich ihn, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaube. »Diesen Mann, haben Sie eine Ahnung, wer er ist?«
Kraftloses Kopfschütteln. »Den hätte sie mir nie vorgestellt. Sie hatte auf einmal ein anderes Leben und ich gehörte nicht dazu.«
Armer kleiner Mann. Er wartet immer noch auf eine Erklärung, und ich kann sie ihm auch nicht geben. Wie wäre es damit? Eine zweiundvierzigjährige Kellnerin, die plötzlich ihren Märchenprinzen trifft, der ihr Ginzo-Veldo-Klamotten kauft – da haben alle netten Typen dieser Welt verdammt schlechte Karten.
Abend, schon beinah Nacht. Zeit für die Schlafenden aufzustehen. Ich mache mich auf den Weg zur Endstufe. Heute bin ich bereit, mich unter die coolen Uptown-Typen zu mischen – frisch geduscht und im neuen Retro-Space-Look. Steht mir, der silberne Overall mit echtem NASA-Logo, das sagen auch die »Wie wär’s mit uns, Baby«-Blicke der Männer, die an mir vorbei durch die Luftschleuse gehen. Sie machen mich kribbelig, diese Blicke. Wo bleibt Chan? Auf glitzernden Plateaustiefeln vermesse ich mit schnellen Schritten den Bürgersteig vor der Bar.
Ob sich mein Leben geändert hat? Irgendwie schon. Seit drei Wochen lebe ich in Potters gut gesichertem Loft. Fühle mich immer noch fremd – so viel Platz, so viel Luxus. Den Computerschrott und die Erinnerungen hab ich rausgeworfen. Hab selber genug Altlasten mitgebracht. Gehen mir ständig im Kopf herum. Worte wie »Gab es nie jemanden, an den du ständig gedacht hast, obwohl du es gar nicht wolltest, jemand, mit dem du zusammen sein wolltest?« Jetzt und hier, wo alles begann – mit dir Bru, denke ich und dabei weiß ich nicht mal, ob ich ihn überhaupt wiedersehen will. Lügnerin.
»Hey, Partner.« Chan steht plötzlich vor mir, mustert mich anzüglich von oben bis unten. »Cooles Outfit, hast wohl noch was vor heute Nacht«, grinst er.
»Mach
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