Downtown Blues
erheben, immer noch besser als tödliche Fehler machen. Stardust, DelMonico, Brubaker. Ein in sich geschlossener Kreislauf, gut verpackt und weggelegt. Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit, ich wünschte, ich hätte eine Wahl. Doch bald muss ich in diesen Kreis eindringen, muss endlich die richtigen Fragen stellen. »Schmerz ist Ansichtssache.« Wo kommt auf einmal dieser blöde Ausbilderspruch her? Reardon, der mir beibrachte, meinen Zorn zu kanalisieren. Also gut, ich werde die richtigen Fragen stellen, auch wenn mich die Antworten zerschmettern.
Den Saab-Aerospace habe ich in der CF-Zentrale abgestellt. So kommt es, dass ich wieder durch die Straßen laufe. Der weiche Belag unter meinen Füßen scheint mich festzuhalten, doch ich laufe immer weiter. Denke nicht mal dran, mir ’ne Rikscha zu nehmen.
Irgendwann holt mich mein Partner ein. Sagt nichts, geht nur stumm und beharrlich neben mir, Block um Block. Schließlich bin ich es, die das Schweigen bricht, mürrisch, weil er mich in meinem Selbstmitleid stört. »Was willst du von mir?«
»Nichts«, antwortet er glatt. »Ich dachte nur, wir wollten mit diesem Rico sprechen, hat sein Revier hier in der Gegend.«
Nun gut, warum nicht. Alles, was meine Gedanken auf andere Wege bringt, soll mir recht sein, und wenn ich dabei einen Zuhälter verprügeln kann, der nicht mit der C-Force kooperieren will, soll’s mir auch recht sein. Doch Rico ist »auswärts«, soll heißen: im DWNTN-Knast, und da werde ich ihn heute Nacht bestimmt nicht aufsuchen.
Chan hat eine Idee. »In den Files stand, dass Ochoa im Coco Loco gearbeitet hat, warum sehen wir uns da nicht mal um?«
Warum nicht? Nur dass das Coco Loco die gleiche Mambo-Bar ist, in der DelMonico in jener Nacht verschwand. Kann ich meiner Vergangenheit denn nie entkommen? All die Monate, all die tausend Male, die ich vor diesem Laden stand und wieder umgekehrt bin, zu feige reinzugehen, aus Furcht, Dinge zu erfahren, die ich nicht erfahren wollte – über Del, über mich. Und jetzt bin ich hier, mit einem neuen Fall, mit einem neuen Partner.
Chan weiß von alldem nichts. Er stößt die Tür auf und geht rein. Was soll ich schon machen? Ich folge ihm. Nur eine der zahllosen Bars im Barrio – nichts Besonderes, nichts Bedrohliches. Eine lange Theke, an der lässig ein paar Señores lehnen, die sich von meinem anthrazitfarbenen CF-Coverall nicht abschrecken lassen und mich mit taxierenden Blicken betatschen, eine MOD-Box, aus der Juanitas neuster Hit dröhnt, und Chan, der dem Barkeeper ein »dos cervezas« zuruft.
Erst als zwei Bohemia in geeisten Flaschen vor uns stehen und ich ein, zwei lange Schlucke genommen hab, sehe ich mich etwas genauer um. Habe ich Angst, Del in einer der Nischen sitzen zu sehen? Ich weiß es nicht. LaSalle hätte ich hier bestimmt nicht vermutet. Sie hockt allein am Ende der Bar, starrt mürrisch in ihr Glas und sieht ab und zu zur Tür. Auf wen wartet sie wohl? Was soll’s, geht mich nichts an. Ohne es zu merken, habe ich die Flasche geleert. Chan hat inzwischen meinen Job gemacht. Hat Kontakt zu einer drallen Latina mit Tribal-Tattoos auf den Armen, die gerade schallend über eine Bemerkung lacht.
»Das ist Carmelina, Ritas beste Freundin«, stellt Chan vor. »Sie hat dir was zu sagen.« Er winkt den Barkeeper ran. »Bestell dir was, City Force zahlt.«
Wieder lacht sie schallend und seltsam, es klingt echt. Sie bestellt Piña Colada, und als das Getränk da ist, lässt sie es stehen, spielt nur mit dem albernen Schirmchen. Plötzlich ernst sagt sie: »Sophia hatte da diesen Freund. Reich, so richtig reich, versteht ihr? Kaufte ihr tolle Klamotten. Hatte immer Stoff dabei. So ’n heißes Zeug, Stardust. Sie war ganz wild darauf.«
Chan stellt eine Frage.
Carmelita schüttelt den Kopf. »Nein, den Namen hat sie mir nie gesagt. Hab ihn aber einmal gesehen, als er sie hier abgeholt hat. Der sah aus, wie sie alle aussehen, diese Uptown-Typen.«
»Das ist alles?« Wusste ich’s doch – eine Sackgasse.
Sie überlegt, dreht das Schirmchen zwischen den Fingern. Ich starre auf ihren abgesplitterten Nagellack und denke an die andere, die glaubte, endlich ihren Prinzen gefunden zu haben. Einen, der sie rausholt aus dem Dreck, einen, der sie glücklich macht, so wie sie es verdient hat, einen, der sie umbringt und in eine Mülltonne stopft.
»Er fährt eins von diesen teuren Jet Streams, ist ’n Cabrio.« Sie sagt es so unvermittelt, dass ich zusammenzucke.
Was plappert
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