Dr. med. Erika Werner
Alf. Papa war weniger entsetzt, als ich glaubte. Er hielt mir nur einen Vortrag, daß er die heutige Jugend nicht mehr verstehe. Aber ich glaube, daß er jetzt darauf wartet, daß du mit ihm sprichst …«
»Heute abend noch?«
»Es wäre für ihn ein guter Tagesabschluß, unsere Verlobung bekanntgeben zu können …«
Dr. Bornholm kaute wieder an seiner Unterlippe. Er hatte den ganzen Tag über in seinem Labor gearbeitet und war nur zu einer Besprechung mit den Oberärzten hinüber zur Chirurgie gegangen. Er hatte den Operationsplan verteilt, einige schwierigere Fälle durchgesprochen und war dann zu seinem kleinen Anbau zurückgekehrt. Er führte in seinem Journal Buch über die Reaktionen des kleinen Koko, der gegen Abend noch immer lebend, aber seine Umgebung nicht erkennend in seinem Sauerstoffkäfig lag. Sogar eine Banane erkannte er nicht … nur der Geruchssinn schien nicht gestört worden zu sein. Seine flache, breite Nase schnupperte, als Bornholm ihm die Banane vor die Schnauze hielt, und als er die Banane nach links und rechts schwenkte, fuhr der Kopf schnüffelnd mit. Aber die Augen glotzten an der Frucht vorbei ins Leere.
Stundenlang saß Dr. Alf Bornholm neben seinem Marmorseziertisch und sezierte seine eigene Seele. Was er vor zwei Tagen für unmöglich gehalten hatte, war wie ein Taifun über ihn hergefallen: Seine durch Verstand und mit Erfolgssucht gespeiste Liebe zu Petra Rahtenau hatte eine plötzliche Trübung bekommen. Er sah das Gesicht Erika Werners vor sich, wenn er an Petra dachte. Er hörte Erikas Stimme und sah ihre wirbelnden schlanken Beine, wenn er sich zwingen wollte, sich Petra an seiner Seite vorzustellen. Es war eine unheimliche Symbiose … Petra und Erika wuchsen zu einer Person zusammen, Karriere und Liebe verschwammen ineinander.
Nun kam die Entscheidung auf ihn zu, plötzlich und unausweichlich. Und es gab gar keine andere Wahl mehr, als zu Professor Rahtenau hinzugehen und um die Hand Petras anzuhalten. Um die Hand der Karriere.
Er sah in Petras Gesicht und sah, daß sie ihn liebte. In ihren Augen lag der Schimmer des Glücks, lag offen alle Sehnsucht eines Mädchenherzens, das unter seinen Händen zur Frau geworden war. Damals, vor vier Monaten, in der einsamen Berghütte, umtost von Nebelwänden und Steinschlag. Sie war in seine Arme geflüchtet, und aus diesem Augenblick heraus war das geschehen, was nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.
»Ich spreche sofort mit ihm«, sagte Bornholm und küßte ihre zitternden Lippen. Und dann sagte er etwas, was er in sich hineintrank wie einen Betäubungstrunk. »Ich liebe dich ja …«
»Alf …«
Sie umklammerte seinen Nacken. Ihr Atem wehte heiß über seinen Mund.
»Wann fahren wir wieder zur Hütte …«
»Bald, Liebes …«
»Ich brauche dich, Alf … Ich – sehne mich nach dir …«
»Petra.« Er streichelte über ihr goldblondes Haar. »Welche Geständnisse …«
Auf der Terrasse erschienen die Paare, die bisher getanzt hatten. Sie schienen Petra und Alf Bornholm zu suchen.
»Komm«, sagte Dr. Bornholm. »Gehen wir zu deinem Vater …«
Auf der Station schellte das Telefon. Erika Werner zuckte aus tiefem Schlaf empor. Sie tastete in der Dunkelheit nach dem Knopf der Nachttischlampe und dann nach dem Telefonhörer. Zuerst hielt sie ihn schlaftrunken verkehrt herum und sprach in die Hörmuschel … dann wurde sie völlig wach, drehte den Hörer herum und meldete sich mit klarer Stimme.
»Doktor Werner.« Sie sah auf die kleine Reiseuhr, die auf dem Nachttisch stand. Fast zwölf Uhr nachts. Ein Unfall? »Was gibt's denn?«
»Hier Doktor Veller.« Erika setzte sich im Bett auf. Dr. Veller war der heute diensthabende Arzt der Unfallstation. »Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie aufwecke, liebe Kollegin. Aber soeben rief mich unser Zweiter Ober an. Aus der Villa Rahtenau. Und was er sagte, scheint mir so wichtig, daß ich Sie wecken mußte. Soeben – vor etwa zehn Minuten – hat sich unser Dozent mit der Tochter des Alten offiziell verlobt …«
»Doktor Bornholm?«, fragte Erika völlig sinnlos. Ihr Herzschlag setzte einen Augenblick aus. »Was geht das mich an? Wenn Sie für einen Blumenstrauß sammeln wollen, hätten Sie auch morgen früh anrufen können!«
Sie warf den Hörer zurück auf die Gabel, lehnte sich an die Wand und zog die Knie an.
Alf hat sich verlobt, vor zehn Minuten. Natürlich, es ist sein gutes Recht! Was ist denn schon dabei, wenn man eine junge Kollegin mit in die Berge
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