Dr. med. Erika Werner
nimmt, ihr seine Hütte zeigt und so freundlich ist, daß das Herz aufgeht, als sei es mit Hefe gefüllt. Es war ja alles unverbindlich gewesen. Nie hatte er gezeigt, daß er in ihr mehr sah als eine kommende Mitarbeiterin. Er war korrekt gewesen, zu korrekt fast. Wie ein Hund hatte er auf der Erde auf den Fellen geschlafen, statt sich neben sie in das breite Bett zu legen.
Man muß einen Strich unter die Illusion machen. Erika Werner stützte das Gesicht in beide Hände. Sie merkte erst, daß sie weinte, als die Tränen über ihren Handrücken liefen.
Da sie nicht wieder einschlafen konnte, zog sie sich an und ging durch die Station. Die beiden Frischoperierten schliefen in ihrem Sauerstoffzelt. Sie lagen in einem Zimmer mit Glaswänden, das die Nachtschwester von allen Seiten einsehen konnte. Ihr Kopf zuckte von einem Buch, in dem sie gerade las, hoch, als Erika leise in den Vorraum trat.
»Alles klar?«
»Nichts Besonderes, Fräulein Doktor.«
Sie sah wieder auf die beiden schlafenden Kranken, suchte nach Worten, fand aber nichts, was sie sagen oder fragen konnte.
Mit einem Kopfnicken verließ sie die Wachstation und rannte draußen über die Gänge und Treppen, ruhelos, vor etwas fliehend, was ihr nachlief.
Wie eine Erlösung war es, als von dem OP-Trakt die Alarmleuchte auf allen Stationen rot aufleuchtete.
Die diensthabenden Ärzte zu OP III. Schnell. Ein Mensch braucht Hilfe.
Erika rannte die Treppe hinauf zum Operationstrakt. Vor der großen Glastür traf sie auf Dr. Veller, den diensttuenden Arzt der Unfallstation. Er hatte bereits seine Gummischürze umgebunden und wartete auf den Transportaufzug, dessen Summen näher kam.
»Schöne Schweinerei, Kollegin«, sagte Dr. Veller. »Autounfall. Vier Personen. Krachen mit über hundert Sachen gegen eine Hauswand. Besoffen natürlich! Junge Kerle und zwei Mädchen, kaum siebzehn! Man sollte ihnen nach der Operation – wenn sie's überhaupt überleben – täglich dreimal den Hintern blau schlagen. Wochenlang!«
Der Aufzug hielt. Die Pfleger und zwei Schwestern rollten die fahrbaren Tragen heraus. Vier blutverschmierte, besinnungslose junge Menschen.
»Eine Milzruptur«, sagte Dr. Veller. Er ging den vier Tragen nach in den Flur des Operationstraktes. »Der erste junge Mann …« Er schwieg, aber Erika wußte, was unausgesprochen blieb. »Wenn Bornholm mit seinem Blutersatz schon weiter wäre … vielleicht …«
»Soll ich Doktor Bornholm holen?« rief Erika.
»Aus seiner Verlobung heraus?« Dr. Veller schüttelte den Kopf. »Was kann er hier machen?! Aber wenn ich Ihnen einen persönlichen Gefallen damit tue, wenn ich ihn hierher locke, so tu ich's!«
»Reden Sie nicht solchen Blödsinn!« Erika wandte sich ab und ging in den Waschraum. Zwei andere Ärzte wuschen sich bereits, sogar die aus dem Bett geholte alte OP-Schwester hatte die Ärmel hochgekrempelt und seifte sich die Hände und Unterarme ein.
An zwei Tischen mußte jetzt operiert werden. Keiner der vier Verletzten konnte warten. Die Pfleger hatten sie entkleidet, gewaschen und auf den OP-Tischen festgeschnallt, als das Operationsteam durch die Glasschiebetür hereinkam.
»Zuerst die Milzruptur!« sagte Dr. Veller. Er winkte der zweiten Gruppe zu. »Und ihr die Unterschenkelamputation.« Er sah auf die große elektrische Uhr in der gekachelten Wand. »Ein Uhr nachts! Jungs – heute sehen wir kein Bett mehr …«
Am nächsten Morgen sah Dr. Alf Bornholm bei seiner Visite durch die Stationen Erika Werner nicht. Eine junge Pflichtassistentin übergab ihm das Krankenmaterial. Verwundert wandte er sich zur Stationsschwester um.
»Ist Doktor Werner erkrankt?«
»Sie hatte zwei schwere Nachtoperationen. Sie schläft noch. Soll ich sie wecken?«
»Aber nein. Lassen Sie sie ausschlafen! Von den Operationen weiß ich ja gar nichts.«
»Vier Unfälle, Herr Oberarzt. Herr Doktor Veller hat, weil an zwei Tischen operiert werden mußte, alle wachhabenden Ärzte in den OP gerufen.«
»Warum hat man mich nicht gerufen? Ich war doch erreichbar …«
»Wir wollten das nicht, Herr Oberarzt. Wir wollten Sie nicht aus der Verlobungsfeier … Übrigens, meinen herzlichen Glückwunsch …«
»Ja, weiß das denn schon die ganze Klinik?« Dr. Bornholm steckte die Hände nervös in die Taschen seines weißen Kittels. »Wer hat denn die Nachricht verbreitet …?«
Die Stationsschwester hob lächelnd die Schultern. »So etwas fliegt schneller als der Schall, Herr Oberarzt.«
»Als wenn das so wichtig
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