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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Schulterzucken begann in den Oberarmen, wanderte über die Schultern zum Hals und lief in einer Drehung des Kopfes aus. »Es ist schwierig, aber die Kinder gehen noch bis zum Juni in die Schule – wir konnten sie nicht mitten im Schuljahr da rausreißen. Und wenn ich es schaffe, hinzufahren – du weißt ja, vorletztes Wochenende war ich dort –, und wenn wir dann zusammen sind ... Ich kann dir sagen, es ist einfach unbeschreiblich, die wilde Leidenschaft, das kannst du mir glauben.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Bis dahin war ich Violet Corcoran nur einmal begegnet, als sie mit dem Bus gekommen war, um sich ein wenig umzusehen und ihren Mann zu motivieren, eine passende Wohnung für die ganze Familie zu finden. Sicher, sie war attraktiv – italienischer Abstammung, mit einem Teint von der Farbe von Olivenöl, sehr dunklen Augen und einem Mund, der, auch wenn er ganz entspannt war, immer leicht schmollte –, aber sie war nichts im Vergleich zu Iris. Vielleicht war ich voreingenommen, natürlich war ich das, doch in meinen Augen war Iris eine natürliche Schönheit und spielte in einer ganz anderen Liga als Violet Corcoran. Ich versuchte, mir Violet nackt vorstellen, im Bett mit Corcoran, aber das Bild flackerte und verschwand, bevor ich es festhalten konnte. Schließlich sagte ich etwas wie: »Aber die Situation hat ja auch ihre Vorteile, oder?« und versuchte ein verschwörerisches Lächeln.
Gäste kamen und gingen, ich hörte ein hohes, wieherndes Lachen, das Knarzen und Scharren von Männerschuhen. Die Jukebox spielte ein Stück, das ich nicht kannte. Corcoran sah mit zusammengekniffenen Augen dem Rauch seiner Zigarette nach, und ich dachte, daß eigentlich er derjenige sein sollte, der Prok Unterricht in Savoir-faire gab. »Ja«, sagte er schließlich, »aber das sind nicht die einzigen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein«, sagte ich. »Was meinst du?«
Er zog an der Zigarette, blies den Rauch aus, legte sie sorgsam auf dem Rand des Aschenbechers ab, nahm ein hartgekochtes Ei und klopfte damit sacht auf die Theke. Ich sah zu, wie er die Schale und das Häutchen darunter abzog, das glänzende weiße Ei salzte und es in den Mund steckte. »Na ja, du weißt schon«, sagte er kauend, »das Leben eines Junggesellen. Dauernd eröffnen sich Möglichkeiten. Nicht daß es zu Hause in South Bend nicht so wäre, und du weißt ja, daß ich von Konventionen nicht viel halte, aber so, wie es ist, ist es eben ... na ja, einfacher. Wenn man ganz allein ist. Weniger kompliziert, verstehst du?«
Ich dachte kurz darüber nach, über ihn und Iris an jenem musikalischen Abend, als sie so vertraulich geplaudert hatten. Ich hatte nichts hinzuzufügen.
»Und was ist mit dir?« fragte er und blickte mich an, mit diesem Gesicht, das so nichtssagend und gnadenlos gut aussah wie das eines Filmstars. »Hast du auch mal was nebenbei?«
Über das Erröten war ich hinaus – diese Art von emotionaler Offenbarung war etwas für pubertierende Jünglinge –, aber mein Herz schlug unregelmäßig, als ich die Lüge aussprach. »Nein«, sagte ich und dachte an die tastende Begegnung im dunklen Flur meiner Wohnung. »Nein, eigentlich nicht.«
    Dann kam ein Abend, an dem ich früh – kurz nach sechs – heimkam und Iris nicht da war. Den ganzen Nachmittag hatte ich in einem hinteren Winkel der Bibliothek des Instituts für Biologie verbracht und an verschiedenen Tabellen gearbeitet (Kumulative Verbreitung:
    Kindliche T riebbefriedigung aus beliebigen QuelleninBeziehung zum Bildungsgrad; Beziehung zwischen Lebensalter, Häufigkeit und Bedeutung des Liebesspielsbis zum Orgasmus), die unserem Antrag auf Forschungsmittel der Rockefeller Foundation beigelegt werden sollten. Ich hatte über meine Arbeit gebeugt dagesessen und mich um nichts anderes gekümmert, während Elster auf und ab marschierte und mich wütend anstarrte, als würde die bibliographische Stille dieses Ortes gestört, wenn mein Bleistift über das Papier kratzte oder ich Lineal und Dreieck beiseite legte. Ich versuchte, so gut es ging, ihn zu ignorieren, doch jedesmal, wenn er mit einem Armvoll Papier oder einer Wagenladung Bücher in mein Blickfeld kam, ertappte ich mich bei der Frage, warum man ihn nicht aufgerufen hatte, in Europa, Afrika oder im Pazifik gegen unsere Feinde zu kämpfen. Doch als er an seinem Schreibtisch stand und ich ihn ein wenig genauer betrachtete – die zusammengesunkene Haltung, die kraftlosen Arme und Beine, die leuchtende kahle Stelle

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