Dr. Sex
Schreibtisch auf und ging zu den Aktenschränken, den Regalen, dem Vorzimmer und wieder zurück, bis Prok schließlich von seiner Arbeit aufblickte und mich mit gereizter Stimme fragte, was ich da eigentlich täte. Ich sagte es ihm, und er musterte mich lange mit verwundert gerunzelter Stirn und beugte sich wieder über seine Protokolle, doch ich suchte den ganzen Nachmittag weiter, bis ich den Füller schließlich beim fünften oder sechsten Versuch in der Herrentoilette fand, auf der Metallablage über dem Waschbecken, wo ich mir vor dem Händewaschen eine Notiz gemacht hatte. Es war wahrscheinlich ein bißchen neurotisch, aber wenn ich das Gefühl hatte, die Dinge seien außer Kontrolle geraten, etwas sei nicht in Ordnung oder ich hätte etwas verpatzt, dann hatte ich Atembeschwerden, und ich bin sicher, daß mein Blutdruck in die Höhe schoß. Flattrig. Ich fühlte mich flattrig, als hätte ich zuviel Kaffee getrunken. Und so fühlte ich mich auch jetzt, als ich im Dunkeln am letzten Block entlangging, während ich doch mit meiner Frau bei einem Makkaroniauflauf zu Hause hätte sitzen sollen.
Weiter vorn wurde eine Wagentür zugeschlagen. Ich sah die roten Rücklichter wie Brandlöcher im schwarzen Stoff der Nacht aufleuchten, der Wagen, ein heller Wagen, fuhr an der Straßenlaterne vorbei und verschwand am Ende des Blocks. War da eine Gestalt, ein Schatten in den Schatten, der sich zu einem der Häuser auf unserer Straßenseite bewegte? Es war dunkel. Ich war mir nicht sicher. Als ich zwei Minuten später in unsere Wohnung trat, beugte Iris sich gerade zum Ofen.
»Du liebe Zeit, Iris«, sagte ich, »wo warst du denn? Ich war ... äh ... Ich war hier und hab den Ofen ausgestellt...«
Ihre Haut war gerötet, als wäre sie gerannt oder hätte in der Sporthalle auf dem Trampolin geturnt – ein Gerät übrigens, das sie liebte; ich hatte ihr dabei zugesehen: ihre zielgerichtete Konzentration, die auf und ab schwingenden Arme, als wäre sie im Begriff davonzufliegen, ihr Haar, das senkrecht in der Luft stand, als trotzte es der Schwerkraft. Sie hielt die Auflaufform in den Händen, die roten Topflappen waren über die Griffe gelegt. Sie stellte die Form auf der Arbeitsplatte ab und sah mich mit einem Lächeln an, das sogleich erstarb. »Das war gut«, sagte sie. »Sonst wäre er nämlich verbrannt.«
Ich war jetzt in der Küche, der Perlenvorhang hinter mir rasselte wie ein Schwarm wütender Insekten. »Aber wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht. Ich ... ich bin den ganzen Weg zurück zum Büro gegangen, um zu sehen, ob ... ob du vielleicht da bist.«
»Tut mir leid, John. Ich hab dich nicht so früh erwartet.« Sie machte eine Dose Erbsen auf und kehrte mir den Rücken zu, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Rasche Bewegungen, der Topf, die Flamme, und dann zum Tisch, um ihn zu decken. »Willst du Milch zum Essen, oder kann’s auch Wasser sein? Oder Saft?«
»Was hast du gemacht?« fragte ich. »Gelernt? War die Klausur nicht erst letzte Woche?«
Sie war in Bewegung, ging an mir vorbei, zum Tisch und wieder zurück, und die Perlen rasselten. Sie sah mich nicht an, ihr Blick war auf alles mögliche gerichtet, nur nicht auf mich – auf den Tisch, den Kühlschrank, den Boden. »Gelernt«, sagte sie, »das stimmt. Ich hab gelernt.«
»Wo? In der Bibliothek? Ich war den ganzen Nachmittag dort, da hätte ich dich doch... Aber du brauchtest die Hauptbibliothek, nicht? Für das Seminar bei Huntley?«
Die Auflaufform stand auf dem Untersetzer in der Mitte des Tischs, und Iris schenkte mir ein Glas Milch ein. Solide und weiß stand es neben meinem Teller wie in einem Stilleben der Normalität. Sie sah gehetzt aus. Unglücklich.
»Was ist los?« fragte ich. »Was ist passiert?«
Sie hielt mitten in der Bewegung inne, die Erbsen auf der Schöpfkelle, den heißen Topf auf der Tischkante balancierend. »Oh, John, ich kann das nicht. Ich kann das einfach nicht.«
Das war das Fieber, jetzt kam es, jetzt kam der Augenblick, der mein Herz klopfen ließ. Ich sagte kein Wort.
Zwei Kellen Erbsen, eine auf jeden Teller. »Ich sag’s dir lieber gleich: Ich war mit Purvis zusammen. Ich ... ich bin zum Büro gegangen, um dich zu überraschen, und er war gerade dabei abzuschließen ...«
»War das sein Wagen? Vorhin, als ich gekommen bin?«
Sie nickte.
»Tja«, sagte ich. »Und dann? Hat er dich nach Hause gebracht, habt ihr unterwegs noch irgendwo was getrunken oder was?«
»Nein«, sagte sie, und ihr Blick wich dem meinen
Weitere Kostenlose Bücher