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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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auf seinem Schädel, die wie der Stempel früher Greisenschaft war –, fand ich die Antwort auf meine Frage: Er war IV-F, untauglich, völlig klar.
    Und was hatte ich überhaupt in der Bibliothek zu suchen? Ganz einfach: Prok hatte mich für den Nachmittag vor die Tür gesetzt, damit er und Corcoran gemeinsam Interviews mit einer Gruppe von Psychologen aus Südindiana durchführen konnten, die an einer Konferenz in der Universität teilnahmen. Ich hatte am Morgen und am frühen Nachmittag bereits zwei von ihnen befragt, und jetzt wollte Prok sehen, wie gut Corcoran eingearbeitet war, und die Protokolle vergleichen, sobald der Befragte gegangen war. So kam ich früher als sonst nach Hause, und Iris war nicht da.
    Ich sah, daß sie Makkaroniauflauf mit Thunfisch und Käse gemacht hatte und daß das abgewaschene Frühstücksgeschirr noch auf dem Abtropfgestell stand. Das war in Ordnung, nichts Ungewöhnliches, aber wo war Iris? Hatte sie beim Einkaufen etwas vergessen, das man unbedingt im Haus haben mußte – Kaffee, Margarine, eine Kuchenmischung für den Nachtisch? Vielleicht war sie nur schnell um die Ecke zum Lebensmittelladen gegangen. Vielleicht hatte es auch einen Unfall gegeben. Vielleicht hatte sie sich geschnitten oder war gestürzt. Oder eine der Nachbarinnen. Ich dachte an die alte Dame, die über uns wohnte, früher die beste Freundin von Mrs. Lorbers Schwester, Mrs. Valentine. Sie war so zerbrechlich, so ausgezehrt und eingeschrumpft, daß es niemanden gewundert hätte, wenn sie einfach gestorben wäre. Aber es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sofern irgend etwas passiert war, konnte ich nichts daran ändern. Zu gegebener Zeit würde ich davon erfahren, also warum sollte ich mir Sorgen machen? Der Auflauf war im Ofen, der Bourbon stand auf dem Regal. Ich schenkte mir ein Glas ein und schaltete das Radio an.
    Ich war bei meinem dritten Glas angelangt, und die Oberfläche des Auflaufs hatte eine Farbe und Beschaffenheit, wie ich sie bei einem Ofengericht noch nie gesehen hatte – ich bin allerdings auch kein großer Koch –, als ich begann, mir Sorgen zu machen, Sorgen um Iris. Der Auflauf konnte von mir aus in der Mülltonne landen, dann würde das Abendessen eben aus Sandwiches und einem ordentlichen Bourbon bestehen. Im Radio kamen Vic and Sade, dann die neuesten Kriegsberichte und schließlich Kate Smith, die God Bless America sang, und schließlich begann ich, auf und ab zu gehen und durch den Vorhangspalt zu spähen, wenn ich glaubte, jemanden kommen zu hören. War sie vielleicht zum Büro gegangen, um mich zu überraschen? Hatten wir Karten für das Universitätsorchester? Waren wir zum Essen verabredet? Nein, da stand ja der Auflauf, ein unwiderleglicher Beweis. Ich beschloß, zurück zum Campus zu gehen, um zu sehen, ob sie dort war und ich irgendeine Verabredung vergessen hatte. Ich zog den Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus.
    Das Tageslicht war geschwunden, die Straßen waren leer. Der Bourbon befeuerte mich, und ich hielt mich, wie gesagt, stets gewissenhaft in Form; so schaffte ich die zehn Blocks bis zum Campus in Rekordzeit. Ich rannte zwar nicht, schritt aber zügig aus. Ich ging die vertrauten Stufen zum Eingang des Institutsgebäudes hinauf, durch die unverschlossene Tür und in den ersten Stock. Es war ganz still, nirgends brannte Licht. Vielleicht rüttelte ich am Türknopf – ich hätte natürlich aufschließen können, aber wozu? –, dann drehte ich mich um und ging wieder hinunter. Ich überlegte kurz, ob ich unterwegs noch irgendwo etwas trinken sollte, tat es jedoch nicht.
    Auf dem Rückweg dachte ich daran, wie eigenartig das war. Es sah Iris ganz und gar nicht ähnlich. Natürlich hatte sie noch Vorlesungen und Seminare belegt – es war ihr letztes Semester – und mußte Arbeiten schreiben, in der Bibliothek bibliographieren und so weiter, doch all das hatte sie immer tagsüber erledigt, damit wir abends Zeit füreinander hatten. Auch den Rückweg legte ich in zügigem Tempo zurück, denn jetzt war ich besorgt, ich war auf ganz ähnliche Weise frustriert wie wenn ich, was selten vorkam, etwas verlegt hatte und meinen Weg zurückverfolgte und so lange im Kreis ging, bis ich es gefunden hatte oder die Suche aufgab. Meinen Füller zum Beispiel. Ich hatte einen schlanken silbernen Parker, den Iris mir zum Geburtstag geschenkt hatte, und eines Tages konnte ich ihn nach dem Mittagessen nicht mehr finden. Ich stand immer wieder vom

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