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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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obwohl ich aus unseren publizierten Forschungsergebnissen weiß, daß die Mehrheit der Frauen auf den Anblick eines erigierten Penis mit Gleichgültigkeit reagiert, daß ein Teil sogar davon abgestoßen ist, spielte das in dieser Nacht überhaupt keine Rolle. Ich war so erregt, daß ich zu platzen glaubte, und ich wollte, daß sie es sah, daß sie es wußte und spürte. »Schhh«, wiederholte ich und warf die Decke zurück: all die Wärme, der Anblick ihrer nackten Füße und Knöchel, ihr Gesicht, das jetzt mir zugewendet war, die weit ausgebreiteten Arme. Ich schlüpfte ins Bett und schob ihr Nachthemd hoch. Wir löschten das Licht erst, als es hell wurde.
    Eine von tausend, von fünftausend Nächten. Ein Mann und seine Frau – ein Sexforscher und seine Frau – stillen ihr Begehren. Es war die normalste Sache der Welt – oder vielmehr nein, es war ein Fest, denn wir hatten eine eigene Wohnung und mußten keine Rücksichten auf John junior oder sonst jemanden nehmen. Wir hatten sechs- oder siebenmal pro Woche Verkehr. Wir experimentierten mit ausgedehntem Vorspiel, aufreizenden Posen und Gesten, Strip-Poker und allen Stellungen, die uns einfielen. Und die ganze Zeit schritt das Projekt fort und nahm Fahrt auf, und Corcoran und ich kamen uns als Freunde, als Kollegen immer näher, obgleich wir beide um Proks Gunst buhlten.
    Eines Abends bot Corcoran mir nach der Arbeit an, mich nach Hause zu fahren. Unterwegs hielten wir an einer Kneipe, um noch etwas zu trinken. Ich überlegte, ob ich Iris anrufen und ihr sagen sollte, daß ich später kommen würde, aber das war eigentlich nicht nötig. Bei Prok gab es keinen pünktlichen Feierabend. Ich wußte nie, wann ich zu Hause sein würde, aber es war selten vor sieben Uhr. Die Kneipe war die, in der ich in meinem letzten Studienjahr oft gesessen hatte, wo ich nach Proks Diashow atemlos und aufgeregt mit Laura Feeney und ihren Freunden eingekehrt war. Als ich daran dachte, mußte ich lächeln. Es kam mir vor, als wäre es hundert Jahre her – und angesichts dessen, was ich seitdem gelernt und erfahren hatte, war es das auch. Corcoran legte einen Geldschein auf die Theke und fragte mich, was so amüsant sei.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich glaube, es liegt an dieser Kneipe. Hier bin ich als Student oft gewesen.«
In diesem Augenblick drehten wir beide uns um, als würden wir von einer größeren Kraft dazu gezwungen, und sahen eine Studentin in langen Hosen in Begleitung eines gerade mal achtzehnjährigen Jungen vorbeigehen. »Perlen vor die Säue«, sagte Corcoran.
Ich grinste. »Ja«, sagte ich, »allerdings.«
Er starrte ins Leere und klopfte geistesabwesend mit einem Fingerknöchel auf die Theke. »Mit der wüßte ich was anzufangen«, sagte er. »Du auch?«
Ich sagte, mir gehe es ebenso, und dann kam der Barmann, und wir bestellten zwei große Martinis mit Extraschuß, obwohl ich mir eigentlich gar nicht viel aus Gin machte. Es war einfach so, daß Corcoran zuerst bestellte, und die Bestellung klang gut, also sagte ich: »Dasselbe.«
Worüber sprachen wir an diesem Abend, in dessen Verlauf wir drei Martinis tranken und ich schließlich einen Rausch hatte und mein Kopf sich anfühlte, als wäre er ein Topf, in dem Wasser hin und her schwappte? Über Sex natürlich. Über das Projekt. Über Prok. Über die unmittelbare Zukunft, nämlich unsere nächste Reise, die zwei Tage später stattfinden sollte. Irgendwann gab es eine Pause, und Corcoran beugte sich vor und zündete eine Zigarette an. »Wie geht’s dir eigentlich damit, mit diesen Reisen, meine ich?« fragte er und löschte mit einer wedelnden Handbewegung das Streichholz. »Macht das – wie soll ich sagen? – irgendwelche Schwierigkeiten? Mit Iris?«
Ich sah durch den Raum. Mein Blick kreuzte sich mit dem der Studentin, die zuvor an uns vorbeigegangen war, und sofort schlug ich die Augen nieder. »Na ja, klar.« Der dritte Martini war warm geworden. Mein Gaumen fühlte sich so taub an, als hätte mir der Zahnarzt ein Betäubungsmittel gespritzt. Das war der Gin. Ich mochte keinen Gin und wußte nicht, warum ich ihn überhaupt trank. »Aber das gehört nun mal zu unserer Arbeit. Sie versteht das. Wir beide verstehen das.« Ich hob das Glas mit dem dünnen Stiel an den Mund und war mir mit einem Mal seiner Zerbrechlichkeit bewußt. »Und wie ist es bei euch? Ihr habt... na ja ... Wie ist es mit deiner Frau?«
Corcoran sah mich ausdruckslos an. Auf seinem Haar schimmerten goldene Lichtflecken. Sein

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