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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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darunter auch Robert M. Yerkes, vorlegte, machte er einen bodenständigen Eindruck, fühlte sich im Gespräch mit President Wells und Proks Kollegen vom Fachbereich Zoologie ebenso wohl wie im Umgang mit dem Kellner, der uns bei Murchinson’s die Koteletts servierte, oder dem Barmann, der uns in der Kneipe die Highballs mixte, und behandelte Corcoran und mich vom ersten Augenblick an als gleichrangige Kollegen. Hilda, seine Frau, war eine große, asthenische Blondine, die mit schiefem Mund sprach, als wäre alles, was sie sagte, ein Bonmot – und oft genug war es das auch. Sie war entspannt und lässig, eine Erholung im Vergleich zu den meisten Frauen der anderen Bewerber, die sich benommen hatten, als wollten sie sich für eine Rolle in einem dieser Roboterfilme bewerben, die neuerdings die Kinos verseuchen. Ein weiterer Vorzug, aus meiner Sicht jedenfalls: Sie und Iris verstanden sich auf Anhieb blendend. Eines Nachmittags lud Prok uns alle auf einen Drink ein – die Rutledges, die Corcorans, die Milks und die Kinseys –, und noch bevor er mir den ersten Zombie in die Hand gedrückt hatte, steckten Hilda und Iris bereits die Köpfe zusammen. Und die Kinder, man darf nie die Kinder vergessen, denn wie Prok immer sagt: Sie sprechen das vielleicht beste Urteil über ihre Eltern. In diesem Fall handelte es sich um zwei ernste Jungen von acht und neun Jahren, die ausgeglichen und sehr höflich waren.
Nach den ersten Vorgesprächen war Rutledge der einzige, den wir zu einem zweiten Gespräch einluden, und sollte er auch diesmal einen so guten Eindruck hinterlassen, würde Prok ihm die Stelle anbieten. Ich erwartete ihn am Busbahnhof und begleitete ihn zum Institut. Es war Herbst, der Herbst des Jahres 1946 inzwischen, daran kann ich mich, aus Gründen, die bald ersichtlich werden sollen, genau erinnern. Es war warm für die Jahreszeit, ein Hauch von Altweibersommer lag in der Luft – bald würde die Kälte einsetzen, die Blätter würden fallen, und die nördliche Halbkugel würde sich für eine lange Zeit der Reue von der Sonne abwenden. Rutledge trug ein Tweedjackett über einem langärmligen Hemd, er schob den Hut zurück, damit Luft an seine Stirn kam, und lockerte die Krawatte ein wenig, so daß sie wie eine heraushängende Zunge vor dem geöffneten Kragen baumelte. Er hatte eine Aktentasche in der einen und eine Reisetasche in der anderen Hand, den Regenmantel hatte er lässig über die Schulter geworfen. Ich fragte ihn, ob ich ihm etwas abnehmen könne, und er lächelte. »Ja, John«, sagte er, »das wäre wirklich nett von Ihnen«, und er gab mir die Reisetasche.
Wir gingen schweigend weiter. Die Bürgersteige waren noch feucht von einem kurzen Regenschauer, und jeder Vorgarten, an dem wir vorbeikamen, schien ruhig und gepflegt, mit Holzzäunen, üppig blühenden Blumenbeeten und glitzernden Rasenflächen. Schmetterlinge taumelten über den Blumen dahin, und Vögel führten Selbstgespräche in den Bäumen. »Ich muß sagen, diese Stadt gefällt mir sehr«, sagte er. »Sie hat Charakter. Und Charme. Es ist vielleicht nicht Princeton, aber ich habe den Eindruck, daß sie einiges zu bieten hat. Was meinen Sie? Gefällt’s Ihnen hier?«
»Na ja, schon«, sagte ich. »Ja. Es ist zwar nicht viel los, aber wir haben unseren eigenen Kreis.«
»Gehört Dr. Kinsey auch dazu?«
Wir waren an einer Kreuzung stehengeblieben und ließen einen Bus vorbei. Ich war mir bewußt, daß Rutledge mich ansah. Er horchte mich aus, und ich hatte nichts dagegen: Er fragte mich ja eigentlich nur nach Dingen, die er ohnehin schon wußte. Es bedeutete lediglich, daß er damit rechnete, Prok werde ihm die Stelle anbieten – und daß er geneigt war, das Angebot anzunehmen. »Prok ist ein wichtiger Teil davon«, gab ich zu.
»Sie stehen ihm sehr nahe, nicht?«
»Ja«, sagte ich, »wir stehen ihm sehr nahe.«
Er ließ das unkommentiert, und dann fuhr der Bus weiter, und wir überquerten die Straße. Er ging mit leichten Schritten, schwenkte die Aktentasche vor und zurück, die Krawatte flatterte leicht in der Brise, und wir kamen in denselben Rhythmus, fielen in Gleichschritt, und ich spürte eine Art Verbindung mit ihm, als wären wir zwei Sportler, die das Spielfeld betraten. »Sie waren sein Student, nicht?«
Ich sagte, das sei ich oder vielmehr: das sei ich gewesen. Dann mußte ich lachen. »Eigentlich bin ich es immer noch – wenn man mit Prok arbeitet, hört der Lernprozeß nie auf.«
»Auf jeden Fall hat er eine Menge Energie«,

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